Mittwoch, 24. Oktober 2012

Der Ast, auf dem wir sitzen...

Seit vielen Jahren ist in der evangelikalen Christenheit ein Trend am wachsen. Es gibt eine zunehmende Abneigung gegenüber dem Studium und der Verinnerlichung biblischer Lehre zugunsten von einem vermeintlich mehr praktischen Christenleben.
Immer wieder höre ich Christen, sogar Pastoren, sagen: "Was wir brauchen ist nicht so viel Lehre, sondern mehr praktisch gelebtes Christsein."

Die Haltung kommt zum Beispiel zum Ausdruck, wo Predigten verlangt oder gehalten werden, die weniger Erklärung des Biblischen Textes, seiner Bedeutung und seines Zusammenhangs enthalten und stattdessen eine Aneinanderreihung von Erlebnissen und Geschichten sind.
Hausbibelkreise sind ebenfalls meist nur Austauschrunden, in denen man seine persönlichen Erfahrungen zum Besten gibt.
Wir finden denselben Trend auch, wenn wir in Christliche Buchkataloge oder Buchhandlungen schauen: es gibt da kaum mehr Bücher über Themen wie z.B. Rechtfertigung, Heilssicherheit, Dreieinigkeit, Sünde, usw. oder Auslegungen biblischer Bücher. Stattdessen wimmelt es von Ratgebern für alle möglichen Bereiche des alltäglichen Lebens wie z.B. Umgang mit Geld, Eltern mit schwierigen Kindern, Management, Gesprächsführung, Mitarbeiterführung, usw. all dies mit dem Anspruch, aus Christlicher Perspektive zu sein.

Das Stichwort ist  "praxisorientiert". Lehre wird als anstrengend und für das tägliche Leben als Christ irrelevant angesehen, praktische Ratgeber dagegen als lebensnah und hilfreich.

Wenn wir diesen Trend kritisieren, darf es natürlich nicht darum gehen, gegen ein gut und richtig praktiziertes Christenleben zu reden.
Wir könnten genauso gut den Fehler machen, dass wir zu verstehen geben, man müsste nur die richtige Lehre im Kopf haben, es sei dabei egal, wie man praktisch lebt.
Die Bibel gibt uns klar zu verstehen, dass ohne Heiligung niemand den Herrn sehen wird. Das Streben nach einem guten, vom Heiligen Geist geprägten und geführten Christenleben ist unverzichtbar.

Worum es mir geht, ist zu zeigen, dass wir das eine nicht ohne das andere haben können.
Mit anderen Worten: es gibt kein praktisches (gutes, richtiges) Christenleben ohne eine gründliche Lehrgrundlage.
Wer sogenannt "praktisches Christsein" gegen eine Betonung und Pflege der Lehre ausspielt, sägt an dem Ast, auf dem er sitzt. Und er ist etwas kurzsichtig in seinen Aussagen, er widerspricht seiner eigenen Lebenshaltung.

Niemand, der einen Arzt aufsucht, möchte, dass der Arzt in der Weise praxisorientiert ist, dass er nicht viel von der Lehre der Medizin hält. Im Gegenteil, je besser dieser sein Fach studiert hat, desto besser kann er helfen. Ich bin froh, wenn ich mit Schmerzen in der Nierengegend zum Arzt gehe, wenn dieser nicht einfach mal ein Skalpell nimmt, mich aufschneidet und nachsieht, was er da finden kann. Ich wäre froh, wenn er ein möglichst breites Wissen über die Funktionen und Krankheiten des menschlichen Körpers hat, das er ständig erweitert, indem er sich in seinem Fach weiterbildet – also seiner praktischen Arbeit viel Lehre zugrunde legt.
Niemand, der Auto zum Mechaniker bringt, will, dass dieser einfach daran rumschraubt, ohne ein gutes Fachwissen zu haben, das er ebenfalls ständig pflegt. Ich wähle mit Vorzug einen Mechaniker, der so gut gelehrt ist, dass er mir auch noch erklären kann, wie gewisse Teile meines Autos funktionieren und wie ich damit fahren kann, dass mein Auto optimal läuft und lange hält.

Jeder Beruf und jeder Lebensbereich 'funktioniert' nach bestimmten Gesetzen oder theoretischen Grundlagen. Man kann überhaupt nur gut sein im Leben oder im Beruf, wenn man diese Grundlagen, bzw. Gesetze, gut kennt und sie in der Praxis berücksichtigt.

Das ist im Christenleben besonders wichtig. Wo es beim Auto nur um materielle Teile geht, die kaputt gehen können, und wo es in der Medizin 'nur' um den Körper geht, der Schaden nehmen kann, geht es in der Theologie, in der Christlichen Lehre, um das ewige Leben.
Wenn sich hier Fehler einschleichen, hat das ewige Konsequenzen.
Deshalb sind der Herr Jesus und die Apostel so bemüht, uns die richtige Lehre zu bringen, sie von der falschen zu unterscheiden.

Jesus selbst hat sehr viel gelehrt. Er hatte nicht nur mit den Schriftgelehrten lange Diskurse, sondern hat auch seine Jünger darin geschult, ihre Bibel zu verstehen, sie richtig auszulegen und falsche Lehre zu verurteilen.
Die Apostel haben dieses Beispiel übernommen. Ihre Briefe bestehen zum grössten Teil aus Lehrgrundlagen. Sicher, sie enthalten viele praktische Anweisungen. Aber die meisten ihrer Briefe beginnen mit grundsätzlichen Belehrungen über Gott, den Menschen, die Sünde, Christus, und erst dann kommen die daraus folgenden Anleitungen zur Umsetzung des Gelernten.

In der gleichen Weise muss unser Christenleben gelebt werden.
Wir werden Christen, indem wir gelehrt werden: Wer Gott ist, wer wir als Mensch sind, warum wir Christus nötig haben, was er für und getan hat und tut, wie wir in seine Gemeinschaft kommen und darin bleiben können, usw. dann versuchen wir, als Christen Gottes Willen gemäss zu leben. Wir machen Fehler, verstehen Dinge falsch, fallen in Sünde oder verzweifeln an unseren Unzulänglichkeiten. Was tun wir dann?
Wir gehen zurück zur Lehre und versuchen, sie noch besser zu verstehen. Nur das wird uns schliesslich helfen, besser praktisch zu leben.

Lehre ist nicht nur die Theorie über christliche Dinge im Kopf, sondern sie ist auch Nahrung für den Geist. Sie stärkt uns und macht uns fit für das Leben.
Die gute Lehre ist der Nährboden, aus dem unser geistliches Leben genährt wird. Falsche Lehre ist wie Gift, das dem Leben schadet.
Ein guter Baum bringt gute Frucht. Aber ein guter Baum, der in einem schlechten oder verseuchten Boden steht, wird nicht nur keine gute Frucht bringen (sprich gutes, praktisches Christenleben), sondern wird eingehen und sterben.

Wenn wir diese Dinge bedenken, müssen wir da nicht einsehen, dass wir uns eigentlich gar nicht zu viel mit der Lehre beschäftigen können?
Schliesslich müssten die Leute, die "praktisches Christenleben" gegen fleissiges Studium der Lehre biblischer Themen ausspielen wollen, zugeben, dass sie damit auch etwas lehren.
Sie lehren falsch. Sie behaupten eigentlich, man müsse nicht den ganzen Ratschluss Gottes kennen, um nach Gottes Willen zu leben.
Damit bereiten sie den Boden für Lehren von Menschen, die nicht Christus entsprechen. Sprich: Irrlehre.
Wenn uns das bewusst wird, dann werden wir erkennen, dass kein Weg daran vorbei führt, dass wir uns als (normale) Christen fleissig und regelmässig mit Lehre beschäftigen müssen. Wir werden dann immer mehr erkennen und wissen, was wir glauben und warum wir es glauben. Das wird zu einem guten und richtigen praktischen Christenleben führen.


Freitag, 9. März 2012

Wann ist es Zeit, (m)eine Gemeinde zu verlassen?

Wir leben in einer Zeit, in der viele Kirchen und kirchenähnliche Gemeinschaften nicht mehr bemüht sind, eine biblische Form des Gemeindelebens zu suchen. Stattdessen suchen sie sich an vielen anderen, meist menschlich erdachten Vorlagen und Mustern zu orientieren. Ebenso ist ein großer Mangel an biblischer Lehre festzustellen. Die Wortverkündigung leidet, bzw. wird ersetzt durch Motivations-Talks und Mitteilungen über persönliche Erfahrungen und 'Einsichten'. Biblische Leiterschaft mutiert zu einem von der Business-Welt geprägten Führungs-Management.

Bei Christen, die noch nicht vergessen haben, dass der Glaube unverzichtbar auf dem Wort Gottes und den darin gegebenen Verheißungen gegründet ist, kann die Überlegung auftreten, sich auf die Suche nach einer entsprechenden Gemeinde zu machen.

Ich habe öfters erlebt, dass sich Christen mit der Frage an mich wandten, ob ich es für ratsam halte, dass sie ihre Gemeinde verlassen würden. Allerdings musste ich auch beobachten, wie Christen, die mit ihrer Gemeinde unzufrieden waren, aus Gründen weggingen, die gemäß meiner Bibelkenntnis einen solchen Schritt nicht rechtfertigen.

Im folgenden Artikel gehe ich auf die Frage ein: Wann ist es Zeit, die eigene Gemeinde zu verlassen? Gleich zu Beginn will ich eine Kurzantwort geben: Vermutlich liegt der Zeitpunkt viel später, als es dir lieb ist! Meine Ausführungen wollen nicht eine allgemein verbindliche „Richtschnur für das rechtzeitige Verlassen einer unbiblischen Gemeinde“ geben. Eher ist es als ein Denkanstoß gedacht, der auf pastoralen Erfahrungen und Gespräche beruht, aber jeweils auf die individuelle Situation angewendet werden muss. Tatsächlich sind die Situationen, mit denen wir konfrontiert werden, dermaßen unterschiedlich, dass man die hier behandelte Thematik nicht anhand eines Punkte-Schemas abwickeln kann. Es ist ratsam, sich bei der Beantwortung dieser Frage nicht zu überhasten, sondern sich Zeit zu lassen und sich auch mit reifen geistlichen Personen zu beraten.

In der Hoffnung, dass die folgenden Ausführungen dem einen oder dem anderen eine Hilfe bieten, nicht zuletzt auch die eigenen Motive zu überprüfen, um dann die richtige Entscheidung zu treffen, seien sie hier gegeben.

Unzureichende Begründungen

Viele Gründe, die Christen anführen, um das Verlassen ihrer Gemeinde zu rechtfertigen, halte ich für unzureichend oder nicht für legitim. Oft ist sogar die Motivation von der Haltung geprägt, sich nicht wirklich der Leitung der Gemeinde unterordnen zu wollen. Zum Beispiel war einmal ein Mann nicht einverstanden mit einem Beschluss, den die Gemeindeleitung nach längerem Beraten getroffen hatte. Er sagte daraufhin: „Wenn ihr das so macht, dann muss ich mir überlegen, ob Gott mich an einem anderen Ort haben möchte.“

Die häufigsten Begründungen, die ich von Geschwistern zu hören bekam, wenn sie ihre Gemeinde verlassen wollten, basierten mehr oder weniger auf Geschmacks- oder Empfindungsfragen: Ich fühle mich einfach nicht mehr wohl; die Atmosphäre ist so kühl; es herrscht so wenig Freude. Das alles sind zweifellos wichtige Aspekte beim Miteinander von Christen. Aber wenn man solche Punkte anspricht, ist eine gehörige Portion Selbstprüfung und Selbstkritik angesagt. Zum Beispiel wird man sich selbst die Frage zu stellen haben, was man denn selbst zu einer freudigen und liebevollen Atmosphäre beigetragen habe und beitrage.

Gott hat uns in eine Gemeinde gestellt, nicht in erster Linie damit wir es schön haben, sondern damit wir in das Bild seines Sohnes verändert werden. Dazu gebraucht er auch schwierige Umstände und problematische Geschwister. Indem wir uns darin üben, auch die Schwierigen zu lieben, lernen wir, wie Gott zu lieben. Wir können davon ausgehen, dass eine Gemeinde, in der der Herr der Arzt ist, viele „Kranke“ beherbergt. In gewisser Weise bleiben wir „krank“, solange wir in diesem Leib auf dieser Erde leben. Somit sollte es uns nicht überraschen, wenn auch die Gemeinde etwas von dieser Unvollkommenheit widerspiegelt.

Je länger wir in einer Gemeinde mit anderen Menschen zusammen sind, desto deutlicher werden uns deren Schwächen. Eine solche Erkenntnis sollte uns ebenfalls nicht veranlassen, davonzulaufen. Vielmehr sollte sie uns ins Gebet um Heiligung treiben. Anstatt zu sagen, „Herr, ich halte diese schwierigen Typen nicht mehr aus, lass mich weggehen!“, sollten wir flehen: „Herr, ich habe einen solchen Mangel an Liebe für meine Geschwister. Lehre mich zu lieben, wie du liebst!“

Ein anderer, häufiger Beweggrund abzuwandern, kommt in der Klage zum Ausdruck: „Die Form des Gottesdienstes spricht mich einfach nicht an! Es ist langweilig, es ist immer dasselbe!“ R.C. Sproul stellte dazu einmal die Frage: „Kann ein Ort oder ein Anlass, in dem der dreieinige Gott anwesend ist, langweilig sein?“ Unser Herr lehrt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt. 18,19).

Vielleicht haben wir, wenn wir uns im Gottesdienst langweilen, uns die Frage zu stellen: Weiß ich wirklich, dass Gott hier anwesend ist? Bin ich hergekommen, um ihm zu begegnen oder um unterhalten zu werden?

Es ist meine Verantwortung, mich stets darum zu bemühen, Gott zu suchen. Zum Beispiel kann ich das dadurch tun, dass ich mich auf den Gottesdienst innerlich vorbereite. Auch gut ausgeschlafen zu sein, ist sinnvoll. Bin ich überhaupt bereit, mich auf die Predigt einzulassen, mitzudenken?

Manchmal liegt die Unzufriedenheit mit dem Gottesdienst auch daran, dass die Verantwortlichen es versäumen, meine Lieblingsthemen zu bringen. Leider musste ich schon mehrfach hören, dass jemand sich deswegen eine andere Gemeinde suchen wollte, weil bestimmte Themen, die ihm wichtig erschienen, in den Predigten zu kurz kamen oder völlig übergangen wurden.

Nehmen wir einmal an, ich gelange zu einer Einsicht, die mich geistlich sehr voranbringt. Es kann sein, dass ich diesen Punkt dann als so wichtig einstufe, dass ich mich in die Überzeugung verrenne, die gesamte Gemeinde oder gar die gesamte Christenheit müsse das nun schleunigst ebenfalls erkennen.

Es ist zweifellos zutreffend, dass Themen, die wichtige Wahrheiten beinhalten, in Gemeinden gelegentlich zu kurz kommen. Es ist auch zweifellos gut und hilfreich, wenn sie in einer ausgewogenen Weise zur Sprache gebracht werden. Aber nur aus dem Grund eine andere Gemeinde suchen zu wollen, weil in der gegenwärtigen Gemeinde nicht die Themen im Zentrum stehen, die mir persönlich gerade wichtig geworden sind, ist falsch. Suchen Sie doch stattdessen das Gespräch mit den Hirten der Gemeinde! Sagen Sie ihnen, was Ihnen wichtig ist, und stellen Sie die Frage, ob man nicht einmal dieses oder jenes Thema ausführlicher behandeln kann. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn man nicht sofort auf Ihr Anliegen eingeht! Die meisten Pastoren und Ältesten, die ich kenne, sind tatsächlich bemüht, die Lehrthemen in der Gemeinde so auszuwählen, dass die Gemeinde insgesamt eine ausgewogene Kost bekommt. Vergessen wir nicht: Es kann durchaus auch anmaßend sein, als einzelner wissen zu wollen, was für jeden in der Gemeinde gerade jetzt wichtig ist.

Ein weiterer Grund, eine Gemeinde verlassen zu wollen, kann der Umstand sein, dass der Pastor in bestimmten Fragen eine andere Sicht vertritt als man selbst. Ich denke hier nicht an zentrale Lehren des Heils oder Fragen, die die Person Christi betreffen. Darauf kommen wir später. Ich meine eher Fragen des praktischen Christenlebens oder Ansichten über Bibelabschnitte, die zweifellos gewisse Auslegungsspielräume zulassen.

Ich kann mich noch gut entsinnen, wie enttäuscht ich war, als ich erkannte, dass mein erster Pastor, den ich sehr schätzte, keine pazifistische Einstellung hatte, wie ich sie damals vertreten zu müssen meinte, oder dass er das Buch der Offenbarung an gewissen Stellen anders auslegte als ich es für richtig hielt.

Solche Unterschiede stellen eher Herausforderungen dar, einmal ins Gespräch miteinander zu kommen, einander zuzuhören, um einander besser zu verstehen. Aber ein Pastor, der nicht in jedem Punkt meine Ansichten teilt, ist sicher kein Grund, eine Gemeinde zu verlassen.

Ich könnte noch vieles aufzählen, das mir im Laufe der Jahre begegnet ist. Ich denke an diverse persönliche Auseinandersetzungen, Unterschiede in der Ansicht, wie die Gemeinde zu führen sei, wie gewisse Anlässe zu organisieren seien, usw. Vielfach ist sogar schlicht nur Unversöhnlichkeit der Grund für jemanden, seine Gemeinde zu verlassen. Das kann häufig nicht offen gesagt werden, also tarnt man es durch vorgeschobene Gründe.

Zusammenfassend möchte ich noch einmal dazu aufrufen, sehr wachsam und skeptisch gegenüber den eigenen Erwartungen und Empfindungen zu sein. Ich habe einmal eine Gemeinde erlebt, aus der innerhalb weniger Jahre mehr als 50 Geschwister weggingen. Verschiedene kamen in diesem Zeitraum auch hinzu, sind dann aber nach einiger Zeit ebenfalls wieder gegangen. Die Begründungen für das Weggehen waren durchaus unterschiedlich, zum Teil gegensätzlich. Aber alle hatten damit zu tun, dass man überzeugt war, die empfundenen Bedürfnisse würden nicht richtig erkannt und bedient werden. Sie kämen in der Gemeinde nicht „auf ihre Kosten.“ Es waren keine wirklich biblisch begründeten Abgänge. Das sollte uns nachdenklich machen. Es sollte uns vorsichtig machen, wenn wir selbst vor der Entscheidung stehen, ob es richtig ist, sich eine neue geistliche Heimat zu suchen.

Legitime oder zwingende Gründe

Auf der anderen Seite gibt es Gründe, die es rechtfertigen, ja gegebenenfalls sogar zwingend erforderlich machen, eine Gemeinde zu verlassen und eine andere zu suchen. Noch einmal: Ich behaupte, es gibt weniger Gründe, einen solchen Schritt zu tun, als uns möglicherweise lieb ist. Vielleicht kann man es folgendermaßen auf den Punkt bringen: Angemessene Gründe, eine Gemeinde zu verlassen, sind dieselben Gründe, die eigentlich Gemeindezucht erforderlich machen würden.

Das heißt konkret: Wenn der Pastor und/oder die Hirten der Gemeinde auch nach wiederholten Hinweisen durch zwei oder mehr Zeugen an unbiblischer Lehre und/oder schriftwidriger kirchlicher Praxis festhalten, entspricht es dem Wort Gottes, eine solche Gemeinde zu verlassen.

Wir können uns bei der Frage, was falsche (und somit sündhafte) Lehre ist, an der Geschichte der christlichen Kirche orientieren. In den großen Lehrstreitigkeiten, aus denen die diversen Bekenntnisse hervorgegangen sind, hat im Kern die Kirche entweder unbiblische Auffassungen in der Lehre über Christus (Christologie) oder in der Lehre über die Erlangung des Heils (Soteriologie) verurteilt.

Es kann deutlich sein, dass die historischen Bekenntnisse, also zum Beispiel das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Athanasianum, das Bekenntnis von Chalcedon, der Heidelberger Katechismus oder das Westminster Bekenntnis die gesunde biblische Lehre bekennen. Wenn Prediger Inhalte lehren, die diesen überkommenen Bekenntnissen eindeutig widersprechen, verkünden sie Unbiblisches.

Neben unbiblischer/falscher Lehre ist auch unbiblische kirchliche Praxis ein berechtigter Grund, eine Gemeinde zu verlassen. Wenn zum Beispiel offensichtliche Sünden, also Verhaltensweisen, die in der Bibel unzweideutig als Übertretungen verurteilt werden, bei Gemeindegliedern bekannt sind und geduldet werden, macht sich die Gemeinde insgesamt dieser Sünde teilhaftig. In diesem Fall ist es geboten, zu intervenieren. Gemäß der Anweisung von Matthäus 18,15-17 hat man die Sache anzusprechen; gegebenenfalls mehrfach und unter Zeugen. Wenn die Verantwortlichen der Gemeinde sich weigern, gegen bekannte Sünden vorzugehen, muss der Gemeinde die Gemeinschaft versagt werden, und man sollte gehen.

Ein Beispiel von schriftwidriger gemeindlicher Praxis ist gegeben, wenn Frauen gemeindeleitende Ämter beanspruchen oder gar als Pastorinnen predigen. Derartiges ist in der Heiligen Schrift eindeutig untersagt. Einer Gemeinde, die eine solche Praxis akzeptiert, und trotz mehrfacher Ansprache und Ermahnung daran festhält, sollte man die Gemeinschaft versagen.

In diesem Zusammenhang sei angemerkt: Im Fall, dass man aufgrund des Wortes Gottes keine andere Möglichkeit sieht, als die Gemeinde zu wechseln, sollte man sich nicht heimlich davonstehlen. Vielmehr sollten wir die falschen Lehren oder die Sünden beim Namen nennen. Dabei sollte auch genügend Zeit eingeräumt werden, dass eine Einsicht erfolgen kann, so dass Umkehr möglich ist. Aber im Fall, dass die Verantwortlichen in ihrer falschen Haltung oder Lehre beharren, sollte man seinen Weggang offen kundtun und begründen.

Wohin soll ich gehen?

Wir können (oder müssen) vielleicht eine Ortsgemeinde verlassen. Aber wir können und dürfen nicht die weltweite Gemeinde/Kirche Jesu Christi verlassen. Folglich sind wir dazu aufgerufen, wieder verbindlich an einer lokalen Gemeinde Anschluss zu suchen. Dazu möchte ich einige Richtlinien geben.

Zuerst ist hier auf die Kriterien zu weisen, die bereits in der Zeit der Reformation als Kennzeichen für eine wahre Kirche erkannt worden sind. Bei der Suche nach einer neuen Gemeinde sollte für uns bestimmend sein: rechte (schriftgemäße) Verkündigung des Wortes Gottes, rechte Verwaltung der Sakramente (Taufe und Abendmahl) und die Bereitschaft der Gemeindeleitung, gegebenenfalls Gemeindezucht zu üben. Von daher können Antworten auf folgende Fragen uns leiten: Werden in der Gemeinde Gottesdienste so gefeiert, dass in ihnen das Wort Gottes im Zentrum steht? Wird in den Predigten die Heilige Schrift ausgelegt und erklärt? Sind die übrigen Elemente des Gottesdienstes (zum Beispiel Loblieder, die gesungen werden) am Wort Gottes orientiert? Wird darauf geachtet, dass Gott in allem geehrt wird? Gibt es eine Gemeindeleitung, die sich in ihren Entscheidungen an den Aussagen der Bibel verbindlich orientiert? Gibt es überhaupt ordentlich eingesetzte Leiter, Älteste, Pastoren, die der ganzen Gemeinde bekannt sind? Sind diese Ältesten/Pastoren bemüht, die Gemeindeglieder zu kennen und sie geistlich durch das Wort der Wahrheit zu nähren und Hilfestellung im geistlichen Wachstum zu geben?

Gehen Sie ruhig im Anschluss an ein oder zwei 'Schnupperbesuchen' auf die Leiter der Gemeinde zu und erkundigen Sie sich bei ihnen. Es ist gut, wenn die Verantwortlichen ihrerseits Sie bald danach fragen, aus welcher Gemeinde Sie kommen und warum Sie dort nicht länger bleiben können/wollen. Seien Sie nicht beleidigt, wenn genau nachgefragt wird, Ihnen gewissermaßen „auf den Zahn gefühlt“ wird! Dieses zeugt von einem verantwortungsvollen Wahrnehmen des Hirtendienstes.

Wenn Sie sich entscheiden, sich einer solchen Gemeinde anzuschließen, nehmen Sie eine demütige Haltung ein! Ordnen Sie sich unter! Halten Sie sich zurück, gleich da und dort mitmischen zu wollen! Fragen Sie sich, wo sie im Kleinen dienen und Treue üben können! So wie Sie selbst Zeit brauchen (oft viel länger, als man vermutet und einem lieb ist), sich an einem neuen Ort zurecht zu finden und alles kennen zu lernen, benötigen die Gemeinde sowie die Gemeindeleiter Zeit, Sie kennenzulernen.

Ein Gemeindewechsel ist, wenn er ordentlich vonstatten geht, keine Kleinigkeit. Er geht mit vielen schmerzhaften Prozessen einher, mit zeit- und kräfteraubenden Gesprächen und Entscheidungen. Derjenige, der eine Gemeinde verlässt, ist häufig durch große Enttäuschungen hindurchgegangen. Er ist dann vielleicht voller Hoffnungen und Erwartungen und allzu oft auch voller Illusionen in Bezug auf die „neue“ Gemeinde. Seine Vorstellungen, was dort alles besser sein wird, was er alles erreichen und gewinnen kann, sind nicht selten überzogen. Das mag zu Ernüchterungen führen. Bei einem Gemeindewechsel werden auch immer bisherige menschliche Beziehungen auseinander gerissen. Neue müssen aufgebaut werden. Das alles ist kein Sonntagsspaziergang, und es ist sinnvoll, sich das vorher klar zu machen.


Samstag, 11. Februar 2012

Die Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche im Westminster Bekenntnis – warum ist sie wichtig?

Die Unterscheidung

Ein hervorragendes Merkmal und eine Stärke der Charakterisierung der Kirche im Westminster Bekenntnis ist die Unterscheidung der unsichtbaren und der sichtbaren Kirche.

In den älteren reformierten Bekenntnissen wie dem Niederländischen Bekenntnis, dem Zweiten Helvetischen Bekenntnis oder auch dem Heidelberger Katechismus wird diese Unterscheidung noch nicht so explizit gemacht. Man findet lediglich Hinweise, die erkennen lassen, dass im Ansatz schon zwischen den beiden Formen unterschieden wurde, jedoch nicht in dieser deutlichen und systematischen Form wie im Westminster Bekenntnis.

Die Stärke der Unterscheidung ist, dass sie hilft, eine nüchterne und realistische Sicht der Kirche zu bekommen. Realistisch in dem Sinn, dass dadurch anerkannt wird, dass nicht alle in den irdischen Versammlungen derer, die Christus als ihren Erlöser und ihr Haupt bekennen, auch wirklich wiedergeboren sind.

Die Unterscheidung zwischen sichtbar und unsichtbar hat auch theologiegeschichtlich eine wichtige Bedeutung. Die römische Kirche betont aufgrund ihrer Einbindung der Soteriolgie (Lehre vom Heil) in die Ekklesiologie (Lehre von der Kirche) die sichtbare Kirche, als die sie sich selber versteht. Das Heil ist in ihrem eigenen Verständnis nur durch die Zugehörigkeit zur römischen Kirche und deren Vermittlung zu erlangen. Aus diesem Grund wird eine Unterscheidung zwischen einer unsichtbaren Kirche, die aus allen wahrhaft Geretteten und einer sichtbaren, die aus allen Bekennenden, nicht aber notwendigerweise allein aus wahrhaft Geretteten besteht, hinfällig.

Wenn wir die Frage stellen, in welcher Weise denn diese Unterscheidung für die heutige Situation der Kirche relevant ist, können wir sagen, dass heute wie damals dieselben Gründe zählen. Die Heilige Schrift, die nicht zeitgebunden ist, lehrt uns, diese Unterscheidung zu machen.

Wir finden im Alten wie im Neuen Testament durchgängig diese Wahrheit, dass es eine bekennende, sichtbare Gemeinde gibt, die aus wahrhaft Glaubenden, Wiedergeborenen besteht, die zusammen mit solchen bekennen, die nur äusserlich dazugehören. Aus diesem Grund werden die Bekennenden immer wieder aufgefordert, ihrem Bekenntnis entsprechend zu leben und zu handeln. Weil wir von der biblischen Lehre der Erwählung (inklusive dem dazugehörigen Verständnis der partikularen Sühne und des Beharrens der Heiligen) ausgehen, wissen wir, dass diese Aufforderungen nicht dazu dienen, die Wiedergeborenen von der Möglichkeit des Abfalls zu unterrichten und sie davor zu warnen. sondern die Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche geht davon aus, dass es Bekenner in der sichtbaren Versammlung gibt, die entweder noch nicht oder gar nie den rettenden Glauben haben. Wenn sie die sichtbare Kirche verlassen, sich gegen sie richten oder sie gar durch falsche Lehre schädigen, dann kann uns die Erklärung von Johannes (1Joh 2,19) helfen, den Hintergrund ihres Verhaltens zu verstehen.

Das gibt den zuständigen Hirten eine unverkrampfte Haltung gegenüber ihrer Gemeinde. Es hilft ihnen, zu sehen, dass sie nicht die Verantwortung haben, zu erkennen, resp. zu entscheiden, wer tatsächlich zu den Wiedergeborenen gehört. Sie können darin ruhen, dass Gott allein diesen Überblick behält, dass Er die Unterscheidung macht.

Die Hirten ringen zwar um jede Seele, die zu der lokalen Versammlung der sichtbaren Kirche gehört, die ihnen anvertraut ist. Aber sie haben nicht die Macht und die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sie auch zur unsichtbaren Kirche gezählt werden kann.

Die Unterscheidung zwischen unsichtbarer und sichtbarer Kirche macht das Westminster Bekenntnis neben einigen Definitionen auch durch die Biblischen Bilder, die es der jeweiligen Form der Kirche zuteilt. Die unsichtbare Kirche nennt es die Braut, den Leib und die Fülle Christi, die sichtbare das Reich Christi, das Haus und die Familie Gottes.

Unsichtbare Kirche

Wenn das Bekenntnis die unsichtbare Kirche als Braut, Leib und Fülle Christi bezeichnet, dann betont es damit jenes Wesen der Kirche, das nicht an Zeit oder Dimension gebunden ist.

Die Kirche, die als Braut am Ende der Zeit von ihrem Bräutigam, von dem Herrn Jesus Christus empfangen wird, ist bis zu diesem Zeitpunkt nicht in der Vollzahl vorhanden. Ebenso ist sie als der Leib Christi, der auch der Tempel des Geistes genannt wird, nicht fertig aufgebaut vor dem Tag des Herrn. Erst wenn die volle Zahl der Erwählten berufen und in Christus eingepflanzt ist, d.h. ihre Fülle vorhanden ist, dann wird die unsichtbare Kirche sichtbar (1Joh 3,2).

Bis zu diesem Tag ist nicht zuverlässig bestimmbar, wo die Kirche ist und wer vom Herrn zu ihr gezählt wird.

Das heisst, es ist für Menschen nicht greifbar. Das bedeutet jedoch nicht, dass es unsicher ist. Bei Gott ist es vollkommen klar und auch sicher, wer seiner Kirche zugezählt ist. Er hält es aber oft vor den Menschen verborgen. Er sagt jedoch in seinem Wort, dass er seine Kirche bauen wird und dass keine Macht dem widerstehen kann (Mt 16,18).

Dass die Kirche unsichtbar ist, heisst auch, dass sie nicht materiell fassbar ist und dass sie nicht aus Fleisch und Blut besteht. Der grösste Teil der Kirche Christi ist nicht in materiell fassbarer Form auf dieser Erde anwesend. Die Heiligen, die in der Vergangenheit lebten und die, die erst noch zur Kirche hinzukommen werden, können mit menschlichem Auge nicht erfasst werden.

Sie sind aber nicht weniger existent, bzw. präsent. Sie sind – ebenso wie wir als die auf der Erde lebenden Glieder das in einem Sinn schon sind – mit Christus verborgen in Gott. Auch die heute auf der Erde lebenden Glieder der unsichtbaren Kirche sind – obwohl sie als Menschen aus Fleisch und Blut sichtbar sind – als Glieder des Leibes Christi nicht sichtbar. Nichts an ihrem Äusseren, auch nichts, das mit den Sinnen wahrnehmbar ist, gibt Gewähr, dass sie 'in Christus' sind. Nicht einmal sie selbst können ihre Zugehörigkeit an ihrer sinnlichen Wahrnehmung festmachen. Das heisst nicht, dass jemand von sich selbst nicht feststellen kann, ob er zum Leib Christi gehört. Es heisst aber, dass er diese Erkenntnis auf einem anderen als dem sinnlichen Weg gewinnen muss.

Wenn wir sagen, dass die wahren Glieder der Kirche nicht sichtbar, sinnlich nicht fassbar sind, heisst das auch nicht, dass wir nicht danach suchen sollen, Gewissheit über unseren eigenen Stand zu gewinnen. Oder dass man jemandem dabei nicht helfen kann und soll. Im Gegenteil: Wir werden in der Schrift aufgefordert, unseren geistlichen Stand zu prüfen (2Kor 13,5; vgl. 2Pet 1,10). Es wird uns auch gesagt, dass wir durch das innere Zeugnis des Geistes erkennen können, wenn wir geistlich neu geboren sind (Rö 8,16).

Sichtbare Kirche

Der unsichtbaren Kirche stellt das Westminster Bekenntnis die sichtbare Kirche gegenüber und beschreibt sie wieder mit Bildern. Es bezeichnet sie als Reich, Haus und Familie Gottes.

Das (König-)Reich Gottes hat zwar einen unsichtbaren König, aber es selbst ist sichtbar. Im Gegensatz zur unsichtbaren Kirche gehen wir hier davon aus, dass die 'Bürger' dieses Reiches nicht unbedingt alle wahre Teilhaber der göttlichen Natur sind, die durch den Geist Gottes geleitet werden, wie das der Apostel beschreibt (Rö 8,14). Sie sind lediglich solche, die sich selber als Bürger des Reiches bezeichnen, indem sie bekennen, zu diesem Reich zu gehören.

So werden sie auf eine äussere Weise vom König regiert, indem sie auf die Verkündigung seines Wortes hören, an der Austeilung der Sakramente teilhaben und sich den berufenen Leitern der Kirche unterordnen.

Ebenso hat ein Haus eine äusserlich sichtbare, hierarchische Struktur. Es gibt den Hausvater, der das Oberhaupt ist und ihm untergeordnet sind die Mitbewohner des Hauses; Familienmitglieder und Dienstpersonal. So wie das Haus in einer sichtbaren Weise funktioniert und jeder Bewohner seinen Platz und seine Aufgabe hat, so ist es auch in der sichtbaren Kirche der Fall: Es gibt Örtlichkeiten und Zeitpunkte, wo man sich versammelt, es gibt Funktionen und Aufgaben, die ausgeführt werden; kurz – alles, was in diesem Rahmen geschieht, ist für das Auge sichtbar. In ähnlicher Weise kann das für die Familie gesagt werden. Es ist schwierig, im biblischen Sprachgebrauch zwischen Haus und Familie zu unterscheiden. Die Autoren des Westminster Bekenntnisses wollen, indem sie dies tun, vermutlich den Unterschied zwischen dem Funktionalen (Haus) und den familiären Beziehungen (Familie) hervorheben.

Die familiären Verbindungen sind nicht in jedem Fall sichtbar. Die sichtbaren sind die leiblichen Verbindungen. Ehepartner werden ein Fleisch und bringen Kinder hervor, die von ihrem Fleisch und Blut sind. Jedes dieser genannten Glieder gehört zur Familie und das ist mit den Augen zu erkennen. Eine Familie pflegt ihre Beziehungen in sichtbarer Weise. Sie wohnt zusammen und trifft sich regelmässig am selben Ort. Sie leben ihr Leben miteinander. Diese Kriterien machen auch die sichtbare Kirche aus. Sie pflegt Beziehungen und trifft sich regelmässig. Es ist dabei möglich, dass die einzelnen Glieder dieser Familie nur äusserlich verbunden sind. Leibliche Kinder können Kinder ihres Vaters sein, ohne auch 'eines Geistes' mit ihm zu sein. Auch können in einer Familie Menschen mitleben, die nicht wirklich zu der Familie gehören. Von aussen werden sie vielleicht als vollwertige Familienmitglieder wahrgenommen und sind es dennoch nicht, was nur der erkennt, der die 'ganze Wahrheit' weiss. So ähnlich kann es sich verhalten mit Gliedern der sichtbaren Kirche, die nicht wirklich Glieder der unsichtbaren Kirche sind.

Wenn wir – gemäss dem Westminster Bekenntnis – anerkennen, dass die Bibel von der sichtbaren Kirche spricht, wenn sie sie Reich, Haus und Familie Gottes nennt, dann werden wir auch die Kinder der bekennenden Mitglieder als Glieder der sichtbaren Kirche verstehen.

Jesus sagte über die Kinder: "ihrer ist das Reich Gottes" (Lk 18,16). Und auch zu einem Haus und zu einer Familie gehören die Kinder mit dazu.

Die Bedeutung dieser Unterscheidung für die Kirche

Der Sachverhalt, dass die sichtbare Kirche nicht nur aus wahrhaft Wiedergeborenen, also Gliedern der unsichtbaren Kirche besteht, erfordert zumindest für die lokale Gemeinde eine bestimmte Vorgehensweise.

Es ist die Aufgabe der Kirche, die Diskrepanz zwischen Bekennern, die nicht wirklich zur unsichtbaren Kirche gehören und wahren Glieder derselben, möglichst klein zu halten. Mit anderen Worten: falsche Bekenner müssen offenbar werden, damit die wahren Gläubigen vor schädlichem Einfluss geschützt werden und damit dem Bekenner geholfen wird, ein wahres Glied der unsichtbaren Kirche zu werden, falls er das noch nicht ist.

Um dies zu erreichen, sind ein klares, biblisches Verständnis von Kirchenmitgliedschaft und eine gesunde Praxis der Kirchenzucht notwendig. Wenn wir zwischen unsichtbarer und sichtbarer Kirche in der oben beschriebenen Weise unterscheiden, gibt uns das eine gesunde und auch entspannte Sicht der Kirchenmitgliedschaft. Wir werden Menschen nicht erst dann als Mitglieder aufnehmen, wenn sie mit absoluter Sicherheit wiedergeborene und im Glaubensleben bewährte Christen sind und wir eine Garantie haben, dass sie auch nie mehr davon abweichen werden. Würden wir diese Voraussetzung fordern, dann könnten wir gar niemanden als Mitglied in eine Gemeinde aufnehmen.

Wir müssen eine Form haben, die von denjenigen, die aufgenommen werden wollen, ein klares Bekenntnis zu Christus fordert. Wir werden dieses Bekenntnis auch in einem gewissen Mass prüfen müssen, bevor wir sagen: "Du gehörst zur (sichtbaren lokalen Versammlung der) Kirche". Damit werden wir aber nie sagen können und müssen, dass derjenige tatsächlich mit Sicherheit zur unsichtbaren Kirche, dem Leib Christi, also den tatsächlich Geretteten gehört. Wir dürfen das aber aufgrund seines Bekenntnisses annehmen und ihn so behandeln, solange er nicht durch seinen Wandel ein gegenteiliges Zeugnis abgibt.

Die Praxis der Kirchenzucht wird hier eine schützende und korrektive Funktion haben.