Wir leben in einer Zeit, in der viele Kirchen und kirchenähnliche Gemeinschaften nicht mehr bemüht sind, eine biblische Form des Gemeindelebens zu suchen. Stattdessen suchen sie sich an vielen anderen, meist menschlich erdachten Vorlagen und Mustern zu orientieren. Ebenso ist ein großer Mangel an biblischer Lehre festzustellen. Die Wortverkündigung leidet, bzw. wird ersetzt durch Motivations-Talks und Mitteilungen über persönliche Erfahrungen und 'Einsichten'. Biblische Leiterschaft mutiert zu einem von der Business-Welt geprägten Führungs-Management.
Bei Christen, die noch nicht vergessen haben, dass der Glaube unverzichtbar auf dem Wort Gottes und den darin gegebenen Verheißungen gegründet ist, kann die Überlegung auftreten, sich auf die Suche nach einer entsprechenden Gemeinde zu machen.
Ich habe öfters erlebt, dass sich Christen mit der Frage an mich wandten, ob ich es für ratsam halte, dass sie ihre Gemeinde verlassen würden. Allerdings musste ich auch beobachten, wie Christen, die mit ihrer Gemeinde unzufrieden waren, aus Gründen weggingen, die gemäß meiner Bibelkenntnis einen solchen Schritt nicht rechtfertigen.
Im folgenden Artikel gehe ich auf die Frage ein: Wann ist es Zeit, die eigene Gemeinde zu verlassen? Gleich zu Beginn will ich eine Kurzantwort geben: Vermutlich liegt der Zeitpunkt viel später, als es dir lieb ist! Meine Ausführungen wollen nicht eine allgemein verbindliche „Richtschnur für das rechtzeitige Verlassen einer unbiblischen Gemeinde“ geben. Eher ist es als ein Denkanstoß gedacht, der auf pastoralen Erfahrungen und Gespräche beruht, aber jeweils auf die individuelle Situation angewendet werden muss. Tatsächlich sind die Situationen, mit denen wir konfrontiert werden, dermaßen unterschiedlich, dass man die hier behandelte Thematik nicht anhand eines Punkte-Schemas abwickeln kann. Es ist ratsam, sich bei der Beantwortung dieser Frage nicht zu überhasten, sondern sich Zeit zu lassen und sich auch mit reifen geistlichen Personen zu beraten.
In der Hoffnung, dass die folgenden Ausführungen dem einen oder dem anderen eine Hilfe bieten, nicht zuletzt auch die eigenen Motive zu überprüfen, um dann die richtige Entscheidung zu treffen, seien sie hier gegeben.
Unzureichende Begründungen
Viele Gründe, die Christen anführen, um das Verlassen ihrer Gemeinde zu rechtfertigen, halte ich für unzureichend oder nicht für legitim. Oft ist sogar die Motivation von der Haltung geprägt, sich nicht wirklich der Leitung der Gemeinde unterordnen zu wollen. Zum Beispiel war einmal ein Mann nicht einverstanden mit einem Beschluss, den die Gemeindeleitung nach längerem Beraten getroffen hatte. Er sagte daraufhin: „Wenn ihr das so macht, dann muss ich mir überlegen, ob Gott mich an einem anderen Ort haben möchte.“
Die häufigsten Begründungen, die ich von Geschwistern zu hören bekam, wenn sie ihre Gemeinde verlassen wollten, basierten mehr oder weniger auf Geschmacks- oder Empfindungsfragen: Ich fühle mich einfach nicht mehr wohl; die Atmosphäre ist so kühl; es herrscht so wenig Freude. Das alles sind zweifellos wichtige Aspekte beim Miteinander von Christen. Aber wenn man solche Punkte anspricht, ist eine gehörige Portion Selbstprüfung und Selbstkritik angesagt. Zum Beispiel wird man sich selbst die Frage zu stellen haben, was man denn selbst zu einer freudigen und liebevollen Atmosphäre beigetragen habe und beitrage.
Gott hat uns in eine Gemeinde gestellt, nicht in erster Linie damit wir es schön haben, sondern damit wir in das Bild seines Sohnes verändert werden. Dazu gebraucht er auch schwierige Umstände und problematische Geschwister. Indem wir uns darin üben, auch die Schwierigen zu lieben, lernen wir, wie Gott zu lieben. Wir können davon ausgehen, dass eine Gemeinde, in der der Herr der Arzt ist, viele „Kranke“ beherbergt. In gewisser Weise bleiben wir „krank“, solange wir in diesem Leib auf dieser Erde leben. Somit sollte es uns nicht überraschen, wenn auch die Gemeinde etwas von dieser Unvollkommenheit widerspiegelt.
Je länger wir in einer Gemeinde mit anderen Menschen zusammen sind, desto deutlicher werden uns deren Schwächen. Eine solche Erkenntnis sollte uns ebenfalls nicht veranlassen, davonzulaufen. Vielmehr sollte sie uns ins Gebet um Heiligung treiben. Anstatt zu sagen, „Herr, ich halte diese schwierigen Typen nicht mehr aus, lass mich weggehen!“, sollten wir flehen: „Herr, ich habe einen solchen Mangel an Liebe für meine Geschwister. Lehre mich zu lieben, wie du liebst!“
Ein anderer, häufiger Beweggrund abzuwandern, kommt in der Klage zum Ausdruck: „Die Form des Gottesdienstes spricht mich einfach nicht an! Es ist langweilig, es ist immer dasselbe!“ R.C. Sproul stellte dazu einmal die Frage: „Kann ein Ort oder ein Anlass, in dem der dreieinige Gott anwesend ist, langweilig sein?“ Unser Herr lehrt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt. 18,19).
Vielleicht haben wir, wenn wir uns im Gottesdienst langweilen, uns die Frage zu stellen: Weiß ich wirklich, dass Gott hier anwesend ist? Bin ich hergekommen, um ihm zu begegnen oder um unterhalten zu werden?
Es ist meine Verantwortung, mich stets darum zu bemühen, Gott zu suchen. Zum Beispiel kann ich das dadurch tun, dass ich mich auf den Gottesdienst innerlich vorbereite. Auch gut ausgeschlafen zu sein, ist sinnvoll. Bin ich überhaupt bereit, mich auf die Predigt einzulassen, mitzudenken?
Manchmal liegt die Unzufriedenheit mit dem Gottesdienst auch daran, dass die Verantwortlichen es versäumen, meine Lieblingsthemen zu bringen. Leider musste ich schon mehrfach hören, dass jemand sich deswegen eine andere Gemeinde suchen wollte, weil bestimmte Themen, die ihm wichtig erschienen, in den Predigten zu kurz kamen oder völlig übergangen wurden.
Nehmen wir einmal an, ich gelange zu einer Einsicht, die mich geistlich sehr voranbringt. Es kann sein, dass ich diesen Punkt dann als so wichtig einstufe, dass ich mich in die Überzeugung verrenne, die gesamte Gemeinde oder gar die gesamte Christenheit müsse das nun schleunigst ebenfalls erkennen.
Es ist zweifellos zutreffend, dass Themen, die wichtige Wahrheiten beinhalten, in Gemeinden gelegentlich zu kurz kommen. Es ist auch zweifellos gut und hilfreich, wenn sie in einer ausgewogenen Weise zur Sprache gebracht werden. Aber nur aus dem Grund eine andere Gemeinde suchen zu wollen, weil in der gegenwärtigen Gemeinde nicht die Themen im Zentrum stehen, die mir persönlich gerade wichtig geworden sind, ist falsch. Suchen Sie doch stattdessen das Gespräch mit den Hirten der Gemeinde! Sagen Sie ihnen, was Ihnen wichtig ist, und stellen Sie die Frage, ob man nicht einmal dieses oder jenes Thema ausführlicher behandeln kann. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn man nicht sofort auf Ihr Anliegen eingeht! Die meisten Pastoren und Ältesten, die ich kenne, sind tatsächlich bemüht, die Lehrthemen in der Gemeinde so auszuwählen, dass die Gemeinde insgesamt eine ausgewogene Kost bekommt. Vergessen wir nicht: Es kann durchaus auch anmaßend sein, als einzelner wissen zu wollen, was für jeden in der Gemeinde gerade jetzt wichtig ist.
Ein weiterer Grund, eine Gemeinde verlassen zu wollen, kann der Umstand sein, dass der Pastor in bestimmten Fragen eine andere Sicht vertritt als man selbst. Ich denke hier nicht an zentrale Lehren des Heils oder Fragen, die die Person Christi betreffen. Darauf kommen wir später. Ich meine eher Fragen des praktischen Christenlebens oder Ansichten über Bibelabschnitte, die zweifellos gewisse Auslegungsspielräume zulassen.
Ich kann mich noch gut entsinnen, wie enttäuscht ich war, als ich erkannte, dass mein erster Pastor, den ich sehr schätzte, keine pazifistische Einstellung hatte, wie ich sie damals vertreten zu müssen meinte, oder dass er das Buch der Offenbarung an gewissen Stellen anders auslegte als ich es für richtig hielt.
Solche Unterschiede stellen eher Herausforderungen dar, einmal ins Gespräch miteinander zu kommen, einander zuzuhören, um einander besser zu verstehen. Aber ein Pastor, der nicht in jedem Punkt meine Ansichten teilt, ist sicher kein Grund, eine Gemeinde zu verlassen.
Ich könnte noch vieles aufzählen, das mir im Laufe der Jahre begegnet ist. Ich denke an diverse persönliche Auseinandersetzungen, Unterschiede in der Ansicht, wie die Gemeinde zu führen sei, wie gewisse Anlässe zu organisieren seien, usw. Vielfach ist sogar schlicht nur Unversöhnlichkeit der Grund für jemanden, seine Gemeinde zu verlassen. Das kann häufig nicht offen gesagt werden, also tarnt man es durch vorgeschobene Gründe.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal dazu aufrufen, sehr wachsam und skeptisch gegenüber den eigenen Erwartungen und Empfindungen zu sein. Ich habe einmal eine Gemeinde erlebt, aus der innerhalb weniger Jahre mehr als 50 Geschwister weggingen. Verschiedene kamen in diesem Zeitraum auch hinzu, sind dann aber nach einiger Zeit ebenfalls wieder gegangen. Die Begründungen für das Weggehen waren durchaus unterschiedlich, zum Teil gegensätzlich. Aber alle hatten damit zu tun, dass man überzeugt war, die empfundenen Bedürfnisse würden nicht richtig erkannt und bedient werden. Sie kämen in der Gemeinde nicht „auf ihre Kosten.“ Es waren keine wirklich biblisch begründeten Abgänge. Das sollte uns nachdenklich machen. Es sollte uns vorsichtig machen, wenn wir selbst vor der Entscheidung stehen, ob es richtig ist, sich eine neue geistliche Heimat zu suchen.
Legitime oder zwingende Gründe
Auf der anderen Seite gibt es Gründe, die es rechtfertigen, ja gegebenenfalls sogar zwingend erforderlich machen, eine Gemeinde zu verlassen und eine andere zu suchen. Noch einmal: Ich behaupte, es gibt weniger Gründe, einen solchen Schritt zu tun, als uns möglicherweise lieb ist. Vielleicht kann man es folgendermaßen auf den Punkt bringen: Angemessene Gründe, eine Gemeinde zu verlassen, sind dieselben Gründe, die eigentlich Gemeindezucht erforderlich machen würden.
Das heißt konkret: Wenn der Pastor und/oder die Hirten der Gemeinde auch nach wiederholten Hinweisen durch zwei oder mehr Zeugen an unbiblischer Lehre und/oder schriftwidriger kirchlicher Praxis festhalten, entspricht es dem Wort Gottes, eine solche Gemeinde zu verlassen.
Wir können uns bei der Frage, was falsche (und somit sündhafte) Lehre ist, an der Geschichte der christlichen Kirche orientieren. In den großen Lehrstreitigkeiten, aus denen die diversen Bekenntnisse hervorgegangen sind, hat im Kern die Kirche entweder unbiblische Auffassungen in der Lehre über Christus (Christologie) oder in der Lehre über die Erlangung des Heils (Soteriologie) verurteilt.
Es kann deutlich sein, dass die historischen Bekenntnisse, also zum Beispiel das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Athanasianum, das Bekenntnis von Chalcedon, der Heidelberger Katechismus oder das Westminster Bekenntnis die gesunde biblische Lehre bekennen. Wenn Prediger Inhalte lehren, die diesen überkommenen Bekenntnissen eindeutig widersprechen, verkünden sie Unbiblisches.
Neben unbiblischer/falscher Lehre ist auch unbiblische kirchliche Praxis ein berechtigter Grund, eine Gemeinde zu verlassen. Wenn zum Beispiel offensichtliche Sünden, also Verhaltensweisen, die in der Bibel unzweideutig als Übertretungen verurteilt werden, bei Gemeindegliedern bekannt sind und geduldet werden, macht sich die Gemeinde insgesamt dieser Sünde teilhaftig. In diesem Fall ist es geboten, zu intervenieren. Gemäß der Anweisung von Matthäus 18,15-17 hat man die Sache anzusprechen; gegebenenfalls mehrfach und unter Zeugen. Wenn die Verantwortlichen der Gemeinde sich weigern, gegen bekannte Sünden vorzugehen, muss der Gemeinde die Gemeinschaft versagt werden, und man sollte gehen.
Ein Beispiel von schriftwidriger gemeindlicher Praxis ist gegeben, wenn Frauen gemeindeleitende Ämter beanspruchen oder gar als Pastorinnen predigen. Derartiges ist in der Heiligen Schrift eindeutig untersagt. Einer Gemeinde, die eine solche Praxis akzeptiert, und trotz mehrfacher Ansprache und Ermahnung daran festhält, sollte man die Gemeinschaft versagen.
In diesem Zusammenhang sei angemerkt: Im Fall, dass man aufgrund des Wortes Gottes keine andere Möglichkeit sieht, als die Gemeinde zu wechseln, sollte man sich nicht heimlich davonstehlen. Vielmehr sollten wir die falschen Lehren oder die Sünden beim Namen nennen. Dabei sollte auch genügend Zeit eingeräumt werden, dass eine Einsicht erfolgen kann, so dass Umkehr möglich ist. Aber im Fall, dass die Verantwortlichen in ihrer falschen Haltung oder Lehre beharren, sollte man seinen Weggang offen kundtun und begründen.
Wohin soll ich gehen?
Wir können (oder müssen) vielleicht eine Ortsgemeinde verlassen. Aber wir können und dürfen nicht die weltweite Gemeinde/Kirche Jesu Christi verlassen. Folglich sind wir dazu aufgerufen, wieder verbindlich an einer lokalen Gemeinde Anschluss zu suchen. Dazu möchte ich einige Richtlinien geben.
Zuerst ist hier auf die Kriterien zu weisen, die bereits in der Zeit der Reformation als Kennzeichen für eine wahre Kirche erkannt worden sind. Bei der Suche nach einer neuen Gemeinde sollte für uns bestimmend sein: rechte (schriftgemäße) Verkündigung des Wortes Gottes, rechte Verwaltung der Sakramente (Taufe und Abendmahl) und die Bereitschaft der Gemeindeleitung, gegebenenfalls Gemeindezucht zu üben. Von daher können Antworten auf folgende Fragen uns leiten: Werden in der Gemeinde Gottesdienste so gefeiert, dass in ihnen das Wort Gottes im Zentrum steht? Wird in den Predigten die Heilige Schrift ausgelegt und erklärt? Sind die übrigen Elemente des Gottesdienstes (zum Beispiel Loblieder, die gesungen werden) am Wort Gottes orientiert? Wird darauf geachtet, dass Gott in allem geehrt wird? Gibt es eine Gemeindeleitung, die sich in ihren Entscheidungen an den Aussagen der Bibel verbindlich orientiert? Gibt es überhaupt ordentlich eingesetzte Leiter, Älteste, Pastoren, die der ganzen Gemeinde bekannt sind? Sind diese Ältesten/Pastoren bemüht, die Gemeindeglieder zu kennen und sie geistlich durch das Wort der Wahrheit zu nähren und Hilfestellung im geistlichen Wachstum zu geben?
Gehen Sie ruhig im Anschluss an ein oder zwei 'Schnupperbesuchen' auf die Leiter der Gemeinde zu und erkundigen Sie sich bei ihnen. Es ist gut, wenn die Verantwortlichen ihrerseits Sie bald danach fragen, aus welcher Gemeinde Sie kommen und warum Sie dort nicht länger bleiben können/wollen. Seien Sie nicht beleidigt, wenn genau nachgefragt wird, Ihnen gewissermaßen „auf den Zahn gefühlt“ wird! Dieses zeugt von einem verantwortungsvollen Wahrnehmen des Hirtendienstes.
Wenn Sie sich entscheiden, sich einer solchen Gemeinde anzuschließen, nehmen Sie eine demütige Haltung ein! Ordnen Sie sich unter! Halten Sie sich zurück, gleich da und dort mitmischen zu wollen! Fragen Sie sich, wo sie im Kleinen dienen und Treue üben können! So wie Sie selbst Zeit brauchen (oft viel länger, als man vermutet und einem lieb ist), sich an einem neuen Ort zurecht zu finden und alles kennen zu lernen, benötigen die Gemeinde sowie die Gemeindeleiter Zeit, Sie kennenzulernen.
Ein Gemeindewechsel ist, wenn er ordentlich vonstatten geht, keine Kleinigkeit. Er geht mit vielen schmerzhaften Prozessen einher, mit zeit- und kräfteraubenden Gesprächen und Entscheidungen. Derjenige, der eine Gemeinde verlässt, ist häufig durch große Enttäuschungen hindurchgegangen. Er ist dann vielleicht voller Hoffnungen und Erwartungen und allzu oft auch voller Illusionen in Bezug auf die „neue“ Gemeinde. Seine Vorstellungen, was dort alles besser sein wird, was er alles erreichen und gewinnen kann, sind nicht selten überzogen. Das mag zu Ernüchterungen führen. Bei einem Gemeindewechsel werden auch immer bisherige menschliche Beziehungen auseinander gerissen. Neue müssen aufgebaut werden. Das alles ist kein Sonntagsspaziergang, und es ist sinnvoll, sich das vorher klar zu machen.