Eine der Besorgnis erregenden Tatsachen der christlichen Gemeinde heute ist meines Erachtens ihr Bestreben, ihren "Gottesdienst" und die Präsentation oder Verkündigung des christlichen Glaubens zu gestalten, indem möglichst auf Theologie verzichtet wird.
Immer wieder wird mir entgegengehalten, dass ein schriftlich verfasstes Bekenntnis überflüssig oder gar gesetzlich sei. Die Tendenz, dass Gottesdienste als Veranstaltungen zur Unterhaltung umgestaltet werden, nimmt immer noch zu.
Man meint offenbar, dass Menschen eher für den Glauben gewonnen werden, wenn man ihnen möglichst wenig Lehre zumutet.
Ich möchte hier nicht eine Erklärung dafür geben, was die Gründe für eine solche Einstellung unter heutigen Christen sind, oder warum es soweit gekommen ist.
Vielmehr möchte ich in der gebotenen Kürze in einigen Punkten aufzeigen, warum eine Trennung von praktischem christlichem Leben und systematischer Lehre (Theologie) ein Widerspruch in sich selbst ist.
Lassen Sie mich mit einem Beispiel beginnen:
Stellen Sie sich vor, eine Gruppe von zufällig zusammengelaufenen Ignoranten, die nie eine Schule besucht haben, und die absolut nichts von Architektur, Statik, Elektrotechnik, Geologie, usw. verstehen, wollen ein Haus bauen.
Sie sind nicht nur ohne jede Kenntnis der genannten Wissenschaften, sie wissen logischerweise auch nicht, wer am Besten welche Aufgabe übernimmt. Jeder fängt einfach an, irgendetwas zu tun.
Eine solche Gruppe von Leuten wird nach einer kurzen Zeit der planlosen Aktion – falls sie nicht einfach ihr Projekt wieder aufgeben – anfangen darüber zu debattieren, wie ihre Arbeit am Besten zu tun wäre, wer welche Tätigkeit ausführen soll, usw.
Wenn wir dieses Beispiel auf die Gemeinde übertragen, würden wir sagen: "Sie beginnen, sich über Lehre Gedanken zu machen."
Jede praktische Tätigkeit benötigt Kenntnisse des Feldes der Tätigkeit.
Wollten wir sogenannt 'praktisches Leben' gegen Lehre darüber ausspielen, ist das dasselbe, als wollten wir den Körper vom Geist abtrennen.
Und wenn wir – wie das oft getan wird – sagen: "Wir brauchen keine systematische Lehre, wir brauchen nur die Bibel", dann widersprechen wir der Bibel selbst. Und wir berauben uns der Hilfe, die die zusammengefassten Lehraussagen der Bibel uns für unser Leben bieten.
Ist es nicht so: wer systematische Belehrung ablehnt und vernachlässigt, wird mit der Zeit auch die Bibel selbst, und später, als logische Folge, auch sein geistliches Leben vernachlässigen und verlieren.
Fragen Sie zum Beispiel einmal ein Ehepaar, das mit einer zerrütteten Ehe in die Seelsorge kommt, danach, ob sie sich der regelmäßigen Verkündigung und Lehre einer Gemeinde und dem gemeinsamen persönlichen Bibelstudium widmen... Das wird gewöhnlich verneint.
Lehre und Leben kann nicht unter Berufung auf die Bibel getrennt werden. Im Gegenteil:
Die Bibel als Gottes Bibliothek seiner Selbstoffenbarung ist DAS Lehrbuch über das Leben.
Die Bibel gibt Lehre zum Leben.
Sie tut das hauptsächlich auf drei Arten:
- Narrativ (d.h. in Form von Erzählungen, die dann vom Leser geistlich gedeutet werden).
- Gegenständlich (d.h. in Form von Typen, Gleichnissen, Beispielgeschichten).
- Doktrinal (direkte Vermittlung von Lehre)
Die Bibel will als Lehrbuch verstanden werden.
Die Propheten und Apostel fordern ständig dazu auf, aus der biblischen Geschichte Schlüsse zu ziehen, was nichts anderes ist, als (systematisch) Lehre zusammenzufassen.
Wir sollen eine Lehre über Gott (sprich 'Theologie") erkennen und festhalten, damit wir entsprechend Gottes Willen handeln (praktisch leben) können.
Ich möchte dieses Argument in zwei Abschnitten zusammentragen.
Dazu möchte ich zuerst die Notwendigkeit der Offenbarung Gottes begründen und dann zeigen, wie Gott es unternommen hat, sich selbst zu offenbaren:
A Die Notwendigkeit der Offenbarung Gottes
Gott muss von uns Menschen erkannt werden.
Gott ist der Schöpfer allen Lebens, ja er ist selbst das Leben. Ohne ihn gibt es kein Leben.
So hängt unser Leben daran, dass wir Gott erkennen.
Wir sind geschaffen, um Gott zu lieben und ihn anzubeten. Wie können wir lieben und anbeten, was wir nicht kennen?
Eine Frau, die vorsätzlich darauf verzichten will, ihren Mann zu kennen, wird ihn nicht lieben.
Unsere naturgemäße Ausgangslage als sündige Menschen ist aber so, dass wir Gott nicht lieben.
Wir sind ihm entfremdet und unter seinem gerechten Zorn. Darum müssen wir mit ihm versöhnt werden.
Gott offenbart sich selbst in seinem Wort als unser Retter:
Adam rettet er vor den direkten Folgen der Sünde und gibt ihm die Ur-Verheissung der Rettung (Gen 3:15).
Noah rettet er vor der Flut, die kommt, um die Sünder wegzuspülen.
Abraham rettet er vor dem Götzendienst und lehrt ihn, wie er Gott richtig anbeten kann - nämlich durch den Glauben (Gen 15:6).
Israel rettet er vor der Gefangenschaft und Fremdherrschaft, die ein Bild der Herrschaft der Sünde darstellt.
Durch David verheißt er seine gute Herrschaft.
Durch Salomo verheißt er seinen Frieden.
All diese Vorbilder erfüllen sich schließlich in Jesus, dem versprochenen Christus.
Es ist für das Volk Gottes notwendig, diese Tatsachen zu kennen und anzunehmen und sie im Herzen festzuhalten.
Die Kirche erfüllt ihren Auftrag dadurch, dass sie diese Heilstatsachen verkündigt und systematisch lehrt, damit die, die glauben, dadurch leben.
B Der Weg der Offenbarung Gottes
So findet die Offenbarung Gottes ihren Weg zu den Menschen.
Die Kirche hat nicht den Auftrag, es den Leuten angenehm zu machen, sich in ihrer Mitte aufzuhalten, indem sie sie optimal unterhält.
Es ist der Auftrag der Kirche, Gottes Offenbarung zu bewahren und weiterzugeben.
Dies geschieht in drei Richtungen:
Die erste ist die Erinnerung des Volkes Gottes an die Heilstatsachen.
Das geschieht zuerst dadurch, dass das Wort verkündet wird und die Sakramente gebraucht werden.
Die Wortverkündigung ist die Erklärung der biblischen Botschaft, sie soll so geschehen, dass die Lehre der Bibel verstanden wird und dass Gottes Willen entsprechend gelebt werden kann.
Die Sakramente sind bildhafte Verkündigung (Belehrung). Auch sie tragen dazu bei, dass die Heilstatsachen verstanden werden können.
Die zweite Richtung ist die Belehrung der Kinder. Dies geschieht ebenfalls in Sakrament und Wort.
Sie werden getauft, weil sie zusammen mit ihren Eltern in Gottes Bund eingeschlossen sind. Und dann werden sie ebenfalls belehrt über das Heil.
Die dritte Richtung ist die Information und Erklärung über Gottes Selbstoffenbarung an Aussenstehende. Diese geschieht vorwiegend durch das Wort Gottes.
Der Glaube kommt durch das gehörte Wort Gottes.
Auch hier ist Belehrung notwendig. Jede Erklärung der Heilstatsachen der Bibel ist Belehrung über Gott, also Theologie.
Dieser Auftrag der Belehrung in diese drei Richtungen ging an die ganze Kirche.
Um den Auftrag der Belehrung der ganzen Gemeinde zu erfüllen, so sagt der Apostel Paulus, wurden uns Propheten, Apostel, Evangelisten, Hirten und Lehrer gegeben (Eph 4:11ff).
Der Auftrag, die Kinder zu belehren, geht im Besonderen an die Eltern.
Und der Auftrag, Außenstehende über das Heil zu belehren, geht nicht nur an Verkündiger, sondern (in einem bestimmten Mass) auch an jedes Glied der Kirche.
Das Ziel aller Lehre (Theologie) ist, dass Gott in Christus verherrlicht wird.
Jede gesunde Lehre formt schließlich den Menschen so, dass dies verwirklicht wird.
Darum ist Lehre über Gott (Theologie) unverzichtbar!