Samstag, 5. Mai 2007

Wie gesetzlich ist das Gesetz?

Michael Horton behandelt in 'God of Promise' - einer Einführung in die Bundestheologie - folgerichtig auch die Frage nach der Haltung des (neutestamentlichen) Christen zum Gesetz.
Dabei erwähnt er, dass er in einem christlichen Umfeld aufwuchs, wo man sich fragte, ob bestimmte Leute, die zum Essen ein Glas Wein trinken wohl Christen sind. Gleichzeitig hielt man die Gemeinde für gesetzlich, in der man es als notwendig sah, sich im christlichen Alltag nach Gottes Geboten zu richten.
Das war im Amerika der 70er Jahre. Wie es in seiner Umgebung heute ist, schrieb er nicht extra. Ich denke, dass es bei uns AD 2007 nicht sehr viel anders ist. Das mit dem Wein ist vielleicht das geringere Problem. In unserem Fall hätten vielleicht manche Leute mehr Mühe, wenn sich der Pastor am Sonntagnachmittag im Garten ein Pfeifchen anzündet...

Aber die Beziehung zum Gesetz Gottes ist wohl nach wie vor weit herum eine stiefmütterliche.
Und ich denke, das haben wir dem Dispensationalismus zu verdanken, der durch seine krasse Aufteilung des Heilsplans den Antinomismus wiederbelebt hat.
"Wir leben im Zeitalter der Gemeinde, nicht mehr des Gesetzes; im Neuen, nicht mehr im Alten Testament", heisst die Prämisse.

Um diesem Missverhältnis zum Gesetz etwas entgegenzuwirken, möchte ich im Folgenden einige grundsätzliche Dinge über das Gesetz zum Besten geben:

Welches Gesetz?

Wir müssen verstehen, dass die Biblischen Autoren nicht immer vom genau Gleichen reden, wenn sie Gesetz sagen. Wir müssen unterscheiden zwischen verschiedenen Bestandteilen oder Formen des Gesetzes.

Wenn Jesus und die Apostel und ihre Zeitgenossen von 'Gesetz und Propheten' sprachen, dann meinten sie das schriftliche Wort Gottes, wie es zu ihrer Zeit festgehalten war, das Alte Testament.

Es ist die Offenbarung Gottes, durch die Er sich uns zu erkennen gibt. Es enthält nicht nur Gebote, sondern es zeigt auch Gottes Charakter.
Es regelt das Leben des Volkes Gottes, zeigt, wie es sich verhalten muss – aber nicht nur das, sondern auch wie es denken muss, wie es motiviert sein muss.
Aber noch mehr: Das Gesetz (und die Propheten) ist dazu da, die Menschen auf das Kommen des Messias vorzubereiten. Das tut es, indem es ihnen ihre Sünde aufzeigt. Und es zeigt ihnen den Erlöser in Vorabbildungen und Schatten.

3 Formen des Gesetzes

Dieses Gesetz ist zwar eine Einheit, aber es muss auch unterschieden werden zwischen den verschiedenen Formen.
Wir unterscheiden zwischen dem Moralgesetz, dem Zeremonialgesetz und dem Judizial- oder Zivilgesetz. Diese Formen sind in der Bibel nicht schön separat aufgeführt, sondern es ist alles ineinander verwoben. Das macht es manchmal etwas schwierig, sie voneinander zu unterscheiden.

Gott gab seinem Volk ein Zivilgesetz, das mit unserem ZGB, OR und StGB zu vergleichen ist. Es regelt das äusserliche, soziale und politische Zusammenleben, die polizeilichen und richterlichen Bestimmungen, usw.

Dazu gehören solche Dinge wie die Regelung, was zu tun ist, wenn ein Rind eine schwangere Frau stösst, oder wenn ein Sachschaden entsteht, wenn jemandem etwas gestohlen wird, wenn jemand bei einer Schlägerei verletzt wird, oder wenn ein Mann seine Frau fortschickt, usw.

Natürlich stehen diese Regelungen auch auf der Grundlage des Moralgesetzes und können deshalb nicht unabhängig behandelt werden.

Dann unterscheiden wir das Zeremonialgesetz. Es enthält alle Gottesdienstlichen Vorschriften wie Anordnungen für die Opfer, Reinheitsgesetze, Gottesdienstabläufe, die Feste, Priesterordnungen, usw.

Dieses Gesetz ist das, wovon Paulus in Eph 2,15 schrieb, dass Christus es beseitigt hat:
Er hat das Gesetz der Gebote in Satzungen beseitigt.

Diese Bestimmungen sind keine ewige Ordnung, sondern sie sind Schatten und Vorbilder von etwas Grösserem, das kommen soll, nämlich Christus. Und als das Grössere, das Eigentliche kam, konnte das Vorläufige beiseite getan werden:

Heb 8,6
Jetzt aber hat er einen vortrefflicheren Dienst erlangt, wie er auch Mittler eines besseren Bundes ist, der aufgrund besserer Verheißungen gestiftet worden ist.
Denn wenn jener erste Bund tadellos wäre, so wäre kein Raum für einen zweiten gesucht worden.

Wir opfern nicht mehr, weil Christus das letzte, eigentliche Opfer war, für das die Tieropfer nur Vorbild waren. Wir beachten keine kultischen Speisegesetze mehr, auch sie waren vorläufig: Der Herr erklärte: Was durch den Mund in den Menschen hineingeht, macht ihn nicht unrein. Und in Apg 10 erklärt Er Petrus, dass er keine Speisen mehr für unrein achten solle. "Erkläre du nicht für unrein, was Gott für rein erklärt hat."

Auch die Feste, die die Israeliten feiern sollten, waren Schatten und Vorbilder und müssen nicht mehr gehalten werden. Paulus erklärt in Römer 14, dass wie die Speisen, so auch die Festtage nicht mehr als für alle verbindlich gelten:

Rö 14,5
Der eine hält einen Tag vor dem anderen, der andere aber hält jeden Tag gleich.

Das ganze Zeremonialgesetz war der Schatten, der dem Eigentlichen voranging. Als das Eigentliche kam, wurde klar, dass der Schatten nur der Vorbote war. Jetzt wo Christus da ist, hat sein Vorbote ausgedient.

Nun bleibt das Moralgesetz. Das Moralgesetz ist in den 10 Geboten zusammengefasst. Dieses Gesetz ist es, das nicht nur das Leben der Israeliten bestimmen soll, sondern auch das der Jünger Jesu im Neuen Bund.

Über dieses sagt Jesus in Mt 5,17, dass es nicht vergehen wird, dass es vollkommen gehalten werden muss. Er erklärt in den folgenden Abschnitten der Bergpredigt, auf welche Weise es tatsächlich gehalten werden muss; nicht nur in seiner äusseren Form, sondern in seinem Geist.

Die Zusammenfassung des Gesetzes: "Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzer Kraft, mit ganzem Herzen und ganzem Verstand" redet eben davon.
Nicht nur mit aller Kraft äusserliches Verhalten, sondern das Herz, die innere Motivation, und auch der Verstand, das Denken müssen sich Gottes Moralgesetz unterordnen.

Meint nicht, dass diese Forderungen des Moralgesetzes aufgelöst oder gelockert werden.
Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen

Die Erfüllung des Gesetzes

Was heisst das, dass Jesus das Gesetz erfüllt?
Es heisst zweierlei. Es geht um zwei Arten von Erfüllung. Wir könnten sie die prophetische und die moralische Erfüllung nennen.

Von der prophetischen Erfüllung haben wir schon gesprochen. Diese betrifft in grösserem Mass das zeremonielle Gesetz. Dieses Gesetz hat etwas vorher verkündigt, das Christus durch sein Kommen und durch sein Leben und Sterben erfüllt hat.

Die moralische Erfüllung des Gesetzes ist die, dass der Herr Jesus die Forderung des Gesetzes nach Gerechtigkeit erfüllt hat. Er ist der Einzige, der das jemals konnte und es auch getan hat. Er hat das ganze Gesetz erfüllt. Er hat alle Forderungen der Gebote Gottes – in ihrer umfassendsten Bedeutung, nicht nur äusserlich, sondern auch im Herzen, in der Motivation und im Denken – vollkommen gehalten. Das erste Mal, dass ein Mensch geboren wurde, der ein Leben lebte, das Gott vollkommen gefiel, zu dem Er seine volle Zustimmung gibt: "Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe."
Und bis zu dem Tag, an dem Er starb, hatte Er nicht eine einzige Sünde – weder im Denken, Wollen oder Handeln – getan. Deshalb wurde Er von Gott angenommen. Das wäre auch bei uns so, wenn Adam nicht gesündigt hätte: Jeder Mensch, der Gottes Gebote vollkommen einhalten würde, wäre deshalb von Gott angenommen. Aber diese Möglichkeit ist nicht mehr gegeben; es gibt keinen Menschen, der Gott vollkommen gehorsam ist. Deshalb brauchen wir Jesus!
Er hat nämlich sein vollkommen heiliges Leben nicht für sich selbst gelebt. Er hat das Gesetz nicht für sich selbst erfüllt. Er hat es als Stellvertreter für die Erwählten getan. Jesus Christus hat für sie nicht nur den Tod erlitten, sondern Er hat sein Leben für sie gelebt. Weil Er für die Seinen das Gesetz erfüllte, kann ihnen nun diese seine Gerechtigkeit angerechnet werden, wenn sie das im Glauben annehmen.

Wenn wir mit Christus eins sind, dann gilt seine Gerechtigkeit als die Unsere. Und wir sind so, als hätten wir selbst alles erfüllt. Es ist alles getan. Wir können und müssen nichts dazu tun.
Aber wir dürfen auch nicht sagen, wie das oft getan wird: "Das Gesetz kann niemand halten, es ist für einen sterblichen Menschen viel zu schwer. Schrauben wir also seine Forderungen etwas herunter…"

"Wer nun eins dieser geringsten Gebote auflöst und so die Menschen lehrt, wird der Geringste heißen im Reich der Himmel. Wer sie aber tut und lehrt, dieser wird groß heißen im Reich der Himmel."

Was ist also die richtige Haltung der Christen gegenüber dem Gesetz?
Ist es 'gesetzlich', wenn man sagt, dass die Gebote gehalten werden sollen?
Nein, das ist es nicht! Mit dem Begriff 'gesetzlich' wird oft eine Begriffsverwirrung verursacht von denen, die nicht interessiert sind, ihr Leben ganz am Wort Gottes auszurichten.
Was ist gesetzlich?

Gesetzlich ist nicht, wenn man die Gebote halten will, sondern wenn man Gebote aufstellt, die nicht in der Bibel stehen und sagt, dass diese gehalten werden müssen, damit man bei Gott angenommen ist.
Das betrifft auch alle Teile des Zeremonialgesetzes wie Beschneidung, Speisegebote, Reinheitsgebote, Einhaltung von Festtagen, usw.

Aber auch neuere Gebote, wo es dann jeweils heisst: Ein Christ tut dies nicht und tut das nicht… Sicher gibt uns die Bibel auch grundsätzliche Weisheit für eine gottgefällige Lebensführung. Wer hier aber feste Gesetze aufrichtet, der ist gesetzlich. Auch bestimmte Gemeindetraditionen verdienen die Bezeichnung 'gesetzlich'.

Aber ein Christ, der Gottes Gebote halten will, der ist nicht gesetzlich. Im Gegenteil, er gefällt Gott: "Wer sie aber tut und lehrt, dieser wird gross heissen im Reich der Himmel."

Ein neutestamentlicher Christ wird das Gesetz Gottes nicht auflösen wollen, nein, er nennt es mit Paulus heilig, gerecht und gut! Er liebt das Gesetz Gottes, weil es Gottes Charakter, seine Heiligkeit und Gerechtigkeit widerspiegelt.

Folgende Beispiele aus Ps 119 sind auch für den neutestamentlichen Christen ein absolut geeignetes Gebet:

10 Mit meinem ganzen Herzen habe ich dich gesucht. Laß mich nicht abirren von deinen Geboten!
11 In meinem Herzen habe ich dein Wort verwahrt, damit ich nicht gegen dich sündige.
12 Gepriesen seist du, HERR! Lehre mich deine Ordnungen!
15 Deine Vorschriften will ich bedenken und beachte deine Pfade.
16 An deinen Satzungen habe ich meine Lust. Dein Wort vergesse ich nicht.
18 Öffne meine Augen, damit ich schaue die Wunder aus deinem Gesetz.
20 Meine Seele zermürbt sich vor Verlangen nach deinen Bestimmungen zu aller Zeit.
29 Halte fern von mir den Weg der Lüge, und gewähre mir dein Gesetz!
33 Lehre mich, HERR, den Weg deiner Ordnungen, und ich will ihn bewahren bis ans Ende.
34 Gib mir Einsicht, und ich will dein Gesetz bewahren und es halten von ganzem Herzen.
35 Leite mich auf dem Pfad deiner Gebote! Denn ich habe Gefallen daran.
40 Siehe, ich sehne mich nach deinen Vorschriften! Belebe mich durch deine Gerechtigkeit!

Woher kommt diese Liebe zu Gottes Geboten, zu seinem Gesetz?
Sie kommt daher, dass einem Christen das Gesetz ins Herz geschrieben ist. Das ist die Verheissung des neuen Bundes. Für den neuen Bund ist eben nicht verheissen, dass das Gesetz überflüssig wird, sondern dass es erfüllt werden will und kann!

Jer 31,31
Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben.

Hes 36,26f
Und ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres geben; und ich werde das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.
Und ich werde meinen Geist in euer Inneres geben; und ich werde machen, dass ihr in meinen Ordnungen lebt und meine Rechtsbestimmungen bewahrt und tut.

Das Gesetz kommt bei einem Christen nicht mehr als Forderung von aussen an ihn heran, sondern er hat es in seinem Herzen. Das heisst, er ist so verändert, dass er den Wunsch in sich hat, Gott zu gefallen und zu gehorchen.
Und dazu wird er immer mehr auch befähigt, nach Gottes Willen zu leben.
Christ sein heisst nicht, Gottes Gesetz verwerfen zu können, weil es nicht mehr gültig wäre. Es heisst im Gegenteil, einen Weg gefunden zu haben, Gottes Willen tun zu können.
Nicht ohne Sünde. Wir werden immer wieder fallen, solange wir auf dieser alten Erde leben. Aber unsere grundsätzliche Haltung wurde durch die Wiedergeburt eine neue. Wir lieben Gottes Gebote und wollen sie gern tun. Wir sind dazu geschaffen:

Eph 2,8-10
Denn aus Gnade seid ihr errettet durch Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme. Denn wir sind sein Gebilde, in Christus Jesus geschaffen zu guten Werken, die Gott vorher bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen.

Und die guten Werke werden durch das Gesetz, das die Zusammenfassung der Liebe zu Gott und zum Nächsten ist, definiert.

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

Right on, brother!
Ein Vers, der gerne angeführt wird um zu "belegen", dass das Gesetz für uns keine Relevanz mehr hat, da wir doch "unter der Gnade" sind, ist Römer 10,4: "Denn Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht." Doch das griechische Wort für "Ende" hier ist telos, und telos bedeutet zuallererst Ziel und nicht Aufhebung. Christus ist also das natürlich Ziel, auf das bzw. auf den das Gesetz immer hinführt.