Samstag, 4. April 2009

Böser Calvin - Guter Calvin

Johannes Calvin wird oft als der strenge, harte und bittere Despot dargestellt, der in Genf eine tyrannische Herrschaft geführt haben soll. Dieses Bild wird von solchen propagiert, die Calvin kaum kennen, bzw. sich kaum je die Mühe gemacht haben, ihn - z.B. durch Lektüre seiner diversen literarischen Werke - näher kennenzulernen.
Calvin hat sich oft - entweder in Briefen oder bei anderen Gelegenheiten, wo er sich in Bezug auf bestimmte Situationen oder über Drittpersonen äusserte - nicht nur sehr gewählt, sondern auch friedfertig und barmherzig ausgedrückt.

Der folgende Ausschnitt, wo er sich über den Abendmahlsstreit äussert, gibt ein gutes Beispiel davon:

"…Was den Streit angeht, der zu unserer Zeit allzu scharf verhandelt worden ist, so war er eine unglückliche Sache. Denn der Teufel hat ihn zweifellos angestiftet, um den Lauf des Evangeliums zu hindern oder gar ganz zu stoppen. Daher wünschte ich, er möge völlig in Vergessenheit geraten. Auch habe ich keine Lust, lang davon zu reden. Jedoch sehe ich, wie viele zarte Gewissen verwirrt sind, weil sie nicht wissen, auf welche Seite sie sich schlagen sollen. Darum werde ich hier kurz das meines Erachtens Nötige sagen, um ihnen zu zeigen, wie sie sich entscheiden sollen.
Zu allererst bitte ich im Namen Gottes alle Gläubigen, ja nicht allzu sehr Ärgernis daran zu nehmen, dass eine so grosse Meinungsverschiedenheit unter denen entbrannt ist, die doch gleichsam Anführer sein sollten, um die Wahrheit wieder ans Licht zu stellen. Es ist ja nichts Neues, wenn der Herr seinen Dienern eine gewisse Unwissenheit erlaubt, und wenn er es duldet, dass sie miteinander debattieren. Nicht, um sie für immer sich selbst zu überlassen, sondern nur eine Zeit lang, um sie zu demütigen! Und in der Tat, wenn bis jetzt alles nach Wunsch gegangen wäre, ohne jede Misshelligkeit, so hätten sich die Menschen vielleicht verkannt oder es wäre die Gnade Gottes nicht gebührend bekannt geworden. Darum hat der Herr ihnen jeden Grund zum Selbstruhm nehmen wollen, damit ihm allein die Ehre gegeben werde. Ausserdem, wenn wir in Erwägung ziehen, in welch unermesslicher Finsternis sich die Welt befand - damals, als die, die diese Kontroverse ausgelöst haben, uns zur Wahrheit zurückzuführen begannen -, nun, so werden wir uns keineswegs wundern, dass sie nicht gleich von Anfang an alles recht erkannt haben. Vielmehr ist es ein Wunder, dass unser Herr sie in so kurzer Zeit dermassen erleuchtet hat, dass sie aus dem ganzen Kot von Irrtümern, in dem sie so lange gesteckt haben, herauskommen und andere daraus herausziehen konnten. Aber es wird am besten sein, zu erzählen, wie die Dinge gelaufen sind. Denn dann wird uns klar werden, dass man keineswegs so viel Anlass zum Ärgernis an diesem Punkt hat, wie man gemeinhin meint.
Als Luther zu lehren begann, behandelte er den Gegenstand vom Abendmahl in der Weise, dass er hinsichtlich der leiblichen Gegenwart Christi der Meinung zu sein schien, er lasse sie so gelten, wie alle sie damals verstanden. Denn obwohl er die Transsubstantiation verwarf, nannte er doch das Brot den Leib Christi, weil es mit demselben verbunden sei. Mehr noch, er fügte dem Vergleiche zu, die ein bisschen hart und schroff waren. Aber das tat er gezwungenermassen, weil er anders gar nicht seine Absicht erklären konnte. Ist es doch schwierig, eine so erhabene Sache verständlich zu machen, ohne einige unangemessenen Ausdrücke zu verwenden.
Auf der anderen Seite standen Zwingli und Oecolampad auf. Sie sahen den Missbrauch und den Betrug, die der Teufel darüber ausgebreitet hatte mit der Festsetzung einer solchen fleischlichen Gegenwart Christi, wie man sie seit über sechshundert Jahren gelehrt und geglaubt hat. Da meinten sie, man dürfe das nicht mit Stillschweigen übergehen. Umso mehr, weil das zu einer abscheulichen Abgötterei führt, dass Jesus Christus dort angebetet wird als einer, der im Brot eingeschlossen ist. Nun aber war es schwierig, diese seit so langer Zeit in den Herzen der Menschen eingewurzelte Meinung abzulegen. Sie boten darum ihre ganze Intelligenz auf, dagegen anzuschreien und wiesen warnend darauf hin, welch schwerer Fehler es sei, wenn man nicht erkennt, was doch in der Schrift so stark bezeugt ist: die Himmelfahrt Jesu Christi und dies, dass er in seiner Menschheit in den Himmel aufgenommen worden ist und dort bleiben wird bis zu seiner Wiederkunft, um die Welt zu richten. Indes hielten sie sich einfach bei diesem Punkt auf und vergassen zu erklären, welche Art von Gegenwart Jesu Christi wir im Abendmahl glauben und welcher Art von Gemeinschaft seines Leibes und Blutes wir darin teilhaftig werden. Und das in einem Masse, dass Luther meinte, sie wollten nichts als leere Zeichen gelten lassen, ohne deren geistliche >Wirklichkeit<. So begann er, ihnen die Stirn zu bieten, ja, sie als Ketzer zu denunzieren. Nachdem der Streit einmal ausgebrochen war, breitete sich seine Flamme immer mehr aus und tobte so während ungefähr fünfzehn Jahren allzu bitter, ohne dass jemals die Einen die Anderen mit friedfertigem Herzen hätten anhören wollen. Denn wie sehr sie wohl miteinander verhandelt haben, so kam es doch zu einer solchen Entfremdung, dass sie ohne irgendeine Einigung wieder umkehrten. Ja, statt sich einer gewissen Verabredung anzunähern, zogen sie sich mehr und mehr zurück, indem sie nur darauf bedacht waren, ihre eigene Meinung zu verteidigen und die entgegengesetzte zu widerlegen. Wir sehen also, worin Luther auf seiner Seite und worin Oecolampad und Zwingli auf der ihren gefehlt haben. Es wäre von Anfang an die Pflicht Luthers gewesen, in Erinnerung zu bringen, er beabsichtige nicht, eine solche räumliche Gegenwart einzuführen, wie sie die Papisten träumen. Ferner hätte er beteuern sollen, dass er nicht das Sakrament anstelle Gottes angebetet haben wolle. Drittens hätte er sich jener harten und schwer zu fassenden Vergleiche enthalten oder sie doch mit Mässigung gebrauchen sollen, indem er sie so auslegte, dass sie kein Ärgernis erregen konnten. Aber nachdem der Streit erregt war, hat er alles Mass überschritten: sowohl durch die Art, wie er seine Meinung kundtat, als auch dadurch, wie er die Anderen mit der unerbittlichen Schroffheit seiner Ausdrücke tadelte. Denn anstatt sich so zu äussern, dass man seine Meinung annehmen konnte, hat er mit seiner gewohnten Heftigkeit sich zur Bekämpfung seiner Widersacher allerhand übertriebener Ausdrücke bedient. Diese waren für all die sehr schwer erträglich, die ohnehin wenig geneigt waren, seinen Äusserungen zu glauben. Die Anderen haben sich aber Kränkungen geleistet, weil sie sich so eifrig darauf verlegt haben, gegen die abergläubische und eingebildete Ansicht der Papisten zu wettern, die eine räumliche Gegenwart des Leibes Jesu Christi im Abendmahl und folgerichtig dessen verderbliche Anbetung lehren. So dass sie ihre Kraft mehr auf die Zerstörung des Übels verwandten als auf die Erbauung des Guten. Denn wenn sie die Wahrheit auch nicht leugneten, so lehrten sie sie doch nicht so deutlich, wie sie es hätten tun sollen. Ich meine, während sie sich alle grosse Mühe gaben zu behaupten, dass Brot und Wein nur deshalb Leib und Blut Christi genannt werden, weil sie deren Zeichen sind, haben sie nicht darauf geachtet hinzuzufügen, dass sie dergestalt Zeichen sind, dass mit ihnen die >Sache selbst<, die sie bezeugen, verbunden ist. Und so hätten sie beteuern sollen, ihr Anliegen sei keineswegs, die wahre Gemeinschaft zu verdunkeln, die uns der Herr durch dieses Sakrament mit seinem Blut und Leib schenkt. Der gemeinsame Fehler beider Parteien lag darin, dass sie nicht die Geduld hatten, aufeinander zu hören, um dann ohne Leidenschaft der Wahrheit zu folgen, wo sie auch gefunden werde. Trotzdem dürfen wir nicht erlahmen zu bedenken, was unsere Pflicht ist. Wir dürfen nicht vergessen, welche Gnadengaben der Herr ihnen gegeben und welche Wohltaten er uns durch ihre Hand und Vermittlung hat zuteil werden lassen. Denn wenn wir nicht undankbar und blind sind für das, was wir ihnen schulden, werden wir ihnen dies und noch mehr gern verzeihen können, ohne sie zu tadeln und zu verunglimpfen. Kurz, da wir sehen, dass sie sich durch einen heiligen Lebenswandel, durch grosse Gelehrsamkeit und durch besonderen Eifer um die Erbauung der Kirche bemüht haben und, sofern sie noch leben, noch bemühen, dürfen wir darüber stets nur mit Bescheidenheit und Ehrerbietung urteilen und sprechen. Dies umso mehr, als es unserem Gott endlich, nachdem er sie auf diese Weise zur Demut angehalten, gefallen hat, diesem unseligen Streit ein Ziel zu setzen oder ihn doch wenigstens zu beruhigen, bis er völlig entschieden sein wird…."

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