Dienstag, 22. Dezember 2009

Die Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche im Westminster Bekenntnis

Die Unterscheidung

Ein hervorragendes Merkmal und eine Stärke der Charakterisierung der Kirche im Westminster Bekenntnis ist die Unterscheidung der unsichtbaren und der sichtbaren Kirche.

In den älteren reformierten Bekenntnissen wie dem Niederländischen Bekenntnis, dem Zweiten Helvetischen Bekenntnis oder auch dem Heidelberger Katechismus wird diese Unterscheidung noch nicht so explizit gemacht. Man findet lediglich Hinweise, die erkennen lassen, dass im Ansatz schon zwischen den beiden Formen unterschieden wurde, jedoch nicht in dieser deutlichen und systematischen Weise wie im Westminster Bekenntnis.

Die Stärke der Unterscheidung ist, dass sie hilft, eine nüchterne und realistische Sicht der Kirche zu bekommen. Realistisch in dem Sinn, dass dadurch anerkannt wird, dass nicht alle in den irdischen Versammlungen derer, die Christus als ihren Erlöser und ihr Haupt bekennen, auch wirklich wiedergeboren sind.

Die Unterscheidung zwischen sichtbar und unsichtbar hat auch eine theologiegeschichtlich wichtige Bedeutung. Die römische Kirche betont aufgrund ihrer Einbindung der Soteriolgie in die Ekklesiologie die sichtbare Kirche, als die sie sich selber versteht. Das Heil ist in ihrem eigenen Verständnis nur durch die Zugehörigkeit zur römischen Kirche und deren Vermittlung zu erlangen. Aus diesem Grund wird eine Unterscheidung zwischen einer unsichtbaren Kirche, die aus allen wahrhaft Geretteten und einer sichtbaren, die aus allen Bekennenden, nicht aber notwendigerweise allein aus wahrhaft Geretteten besteht, hinfällig.

Wenn wir die Frage stellen, in welcher Weise denn diese Unterscheidung für die heutige Situation der Kirche relevant ist, können wir sagen, dass heute wie damals dieselben Gründe zählen. Die Heilige Schrift, die nicht zeitgebunden ist, lehrt uns, diese Unterscheidung zu machen.

Wir finden im Alten wie im Neuen Testament durchgängig diese Wahrheit, dass es eine bekennende, sichtbare Gemeinde gibt, die aus wahrhaft Glaubenden, Wiedergeborenen besteht, die zusammen mit solchen bekennen, die nur äusserlich dazugehören. Aus diesem Grund werden die Bekennenden immer wieder aufgefordert, ihrem Bekenntnis entsprechend zu leben und zu handeln. Weil wir von der biblischen Lehre der Erwählung (inklusive dem dazugehörigen Verständnis der partikularen Sühne und der Perseveranz der Heiligen) ausgehen, wissen wir, dass diese Aufforderungen nicht dazu dienen, die Wiedergeborenen von der Möglichkeit des Abfalls zu unterrichten und sie davor zu warnen. sondern die Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche geht davon aus, dass es Bekenner in der sichtbaren Versammlung gibt, die entweder noch nicht oder gar nie den rettenden Glauben haben. Wenn sie die sichtbare Kirche verlassen, sich gegen sie richten oder sie gar durch falsche Lehre schädigen, dann kann uns die Erklärung von Johannes (1Joh 2,19) helfen, den Hintergrund ihres Verhaltens zu verstehen.

Das gibt den zuständigen Hirten eine unverkrampfte Haltung gegenüber ihrer Gemeinde. Es hilft ihnen, zu sehen, dass sie nicht die Verantwortung haben, zu erkennen, resp. zu entscheiden, wer tatsächlich zu den Wiedergeborenen gehört. Sie können darin ruhen, dass Gott allein diesen Überblick behält, dass Er die Unterscheidung macht.

Die Hirten ringen zwar um jede Seele, die zu der lokalen Versammlung der sichtbaren Kirche, die ihnen anvertraut ist, gehört. Aber sie haben nicht die Macht und die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sie auch zur unsichtbaren Kirche gezählt werden kann.

Die Unterscheidung zwischen unsichtbarer und sichtbarer Kirche macht das Westminster Bekenntnis neben einigen Definitionen auch durch die Biblischen Bilder, die es der jeweiligen Form der Kirche zuteilt. Die unsichtbare Kirche nennt es die Braut, den Leib und die Fülle Christi, die sichtbare das Reich Christi, das Haus und die Familie Gottes.


Unsichtbare Kirche

Wenn das Bekenntnis die unsichtbare Kirche als Braut, Leib und Fülle Christi bezeichnet, dann betont es damit jenes Wesen der Kirche, das nicht an Zeit oder Dimension gebunden ist.

Die Kirche, die als Braut am Ende der Zeit von ihrem Bräutigam, von dem Herrn Jesus Christus empfangen wird, ist bis zu diesem Zeitpunkt nicht in der Vollzahl vorhanden. Ebenso ist sie als der Leib Christi, der auch der Tempel des Geistes genannt wird, nicht fertig aufgebaut vor dem Tag des Herrn. Erst wenn die volle Zahl der Erwählten berufen und in Christus eingepflanzt ist, d.h. ihre Fülle vorhanden ist, dann wird die unsichtbare Kirche sichtbar (1Joh 3,2).

Bis zu diesem Tag ist nicht zuverlässig bestimmbar und auch nicht greifbar, wo die Kirche ist und wer vom Herrn zu ihr gezählt wird.

Das heisst, es ist für Menschen nicht greifbar. Das bedeutet jedoch nicht, dass es unsicher ist. Bei Gott ist es vollkommen klar und auch sicher, wer seiner Kirche zugezählt ist. Er hält es aber oft vor den Menschen verborgen. Er sagt jedoch in seinem Wort, dass er seine Kirche bauen wird und dass keine Macht dem widerstehen kann.

Dass die Kirche unsichtbar ist, heisst auch, dass sie nicht materiell fassbar ist und dass sie nicht aus Fleisch und Blut besteht. Der grösste Teil der Kirche Christi ist nicht in materiell fassbarer Form auf dieser Erde anwesend. Die Heiligen, die in der Vergangenheit lebten und die, die erst noch zur Kirche hinzukommen werden, können mit menschlichem Auge nicht erfasst werden.

Sie sind aber nicht weniger präsent. Sie sind – ebenso wie wir als die auf der Erde lebenden Glieder das in einem Sinn schon sind – mit Christus verborgen in Gott. Auch die heute auf der Erde lebenden Glieder der unsichtbaren Kirche sind – obwohl sie als Menschen aus Fleisch und Blut sichtbar sind – als Glieder des Leibes Christi nicht sichtbar. Nichts an ihrem Äusseren, auch nichts, das mit den Sinnen wahrnehmbar ist, gibt Gewähr, dass sie 'in Christus' sind. Nicht einmal sie selbst können ihre Zugehörigkeit an ihrer sinnlichen Wahrnehmung festmachen. Das heisst nicht, dass jemand von sich selbst nicht feststellen kann, ob er zum Leib Christi gehört. Es heisst aber, dass er auf einem anderen als dem sinnlichen Weg diese Erkenntnis gewinnen muss.

Wenn wir sagen, dass die wahren Glieder der Kirche nicht sichtbar, sinnlich nicht fassbar sind, heisst das auch nicht, dass wir nicht danach suchen sollen, Gewissheit über unseren eigenen Stand zu gewinnen. Oder dass man jemandem dabei nicht helfen kann und soll. Im Gegenteil: Wir werden in der Schrift aufgefordert, unseren geistlichen Stand zu prüfen (2Kor 13,5; vgl. 2Pet 1,10). Es wird uns auch gesagt, dass wir durch das innere Zeugnis des Geistes erkennen können, wenn wir geistlich neu geboren sind (Rö 8,16).


Sichtbare Kirche

Der unsichtbaren Kirche stellt das Westminster Bekenntnis die sichtbare Kirche gegenüber und beschreibt sie wieder mit Bildern. Es bezeichnet sie als Reich, Haus und Familie Gottes.

Das (König-)Reich Gottes hat zwar einen unsichtbaren König, aber es selber ist sichtbar. Im Gegensatz zur unsichtbaren Kirche gehen wir hier davon aus, dass die 'Bürger' dieses Reiches nicht unbedingt alle wahre Teilhaber der göttlichen Natur sind, die durch den Geist Gottes geleitet werden, wie das der Apostel beschreibt (Rö 8,14). Sie sind lediglich solche, die sich selber als Bürger des Reiches bezeichnen, indem sie bekennen, zu diesem Reich zu gehören.

So werden sie auf eine äussere Weise vom König regiert, indem sie auf die Verkündigung seines Wortes hören, an der Austeilung der Sakramente teilhaben und sich den berufenen Leitern der Kirche unterordnen.

Ebenso hat ein Haus eine äusserlich sichtbare, hierarchische Struktur. Es gibt den Hausvater, der das Oberhaupt ist und ihm untergeordnet sind die Mitbewohner des Hauses; Familienmitglieder und Dienstpersonal. So wie das Haus in einer sichtbaren Weise funktioniert und jeder Bewohner seinen Platz und seine Aufgabe hat, so ist es auch in der sichtbaren Kirche: Es gibt Örtlichkeiten und Zeitpunkte, wo man sich versammelt, es gibt Funktionen und Aufgaben, die ausgeführt werden; kurz – alles, was in diesem Rahmen geschieht, ist für das Auge sichtbar. In ähnlicher Weise kann das für die Familie gesagt werden. Es ist schwierig, im biblischen Sprachgebrauch zwischen Haus und Familie zu unterscheiden. Die Autoren des Westminster Bekenntnisses wollen, indem sie dies tun, womöglich den Unterschied zwischen dem Funktionalen (Haus) und den familiären Beziehungen (Familie) hervorheben.

Die familiären Verbindungen sind nicht in jedem Fall sichtbar. Die sichtbaren sind die leiblichen Verbindungen. Ehepartner werden ein Fleisch und bringen Kinder hervor, die von ihrem Fleisch und Blut sind. Jedes dieser genannten Glieder gehört zur Familie und das ist mit den Augen zu erkennen. Eine Familie pflegt ihre Beziehungen in sichtbarer Weise. Sie wohnt zusammen und trifft sich regelmässig am selben Ort. Sie leben ihr Leben miteinander. Diese Kriterien machen auch die sichtbare Kirche aus. Sie pflegt Beziehungen und trifft sich regelmässig. Es ist dabei möglich, dass die einzelnen Glieder dieser Familie nur äusserlich verbunden sind. Leibliche Kinder können Kinder ihres Vaters sein, ohne auch 'eines Geistes' mit ihm zu sein. Auch können in einer Familie Menschen mitleben, die nicht wirklich zu der Familie gehören. Von aussen werden sie vielleicht als vollwertige Familienmitglieder wahrgenommen und sind es dennoch nicht, was nur der erkennt, der die ganze Wahrheit weiss. So ähnlich kann es sich verhalten mit Gliedern der sichtbaren Kirche, die nicht wirklich Glieder der unsichtbaren Kirche sind.

Wenn wir –gemäss dem Westminster Bekenntnis – anerkennen, dass die Bibel von der sichtbaren Kirche spricht, wenn sie sie Reich, Haus und Familie Gottes nennt, dann werden wir auch die Kinder der bekennenden Mitglieder als Glieder der sichtbaren Kirche sehen.

Jesus sagte über die Kinder: "ihrer ist das Reich Gottes" (Lk 18,16). Und auch zu einem Haus und zu einer Familie gehören die Kinder mit dazu.


Die Bedeutung dieser Unterscheidung für die Kirche

Der Sachverhalt, dass die sichtbare Kirche nicht nur aus wahrhaft Wiedergeborenen, also Gliedern der unsichtbaren Kirche besteht, erfordert zumindest für die lokale Gemeinde eine bestimmte Vorgehensweise.

Es ist die Aufgabe der Kirche, die Diskrepanz zwischen Bekennern, die nicht wirklich zur unsichtbaren Kirche gehören und wahren Glieder derselben, möglichst klein zu halten. Mit anderen Worten: falsche Bekenner müssen offenbar werden, damit die wahren Gläubigen vor schädlichem Einfluss geschützt werden, damit dem Bekenner geholfen wird, falls er das noch nicht ist, ein wahres Glied der unsichtbaren Kirche zu werden und damit die sichtbare Kirche Gott nicht verunehrt.

Um dies zu erreichen, ist ein klares, biblisches Verständnis von Kirchenmitgliedschaft und eine gesunde Praxis der Kirchenzucht notwendig. Wenn wir zwischen unsichtbarer und sichtbarer Kirche in der oben beschriebenen Weise unterscheiden, gibt uns das eine gesunde und auch entspannte Sicht der Kirchenmitgliedschaft. Wir werden Menschen nicht erst dann als Mitglieder aufnehmen, wenn sie mit absoluter Sicherheit wiedergeborene und im Glaubensleben bewährte Christen sind und wir eine Garantie haben, dass sie auch nie mehr davon abweichen werden. Würden wir diese Voraussetzung fordern, dann könnten wir gar niemanden als Mitglied in eine Gemeinde aufnehmen. Wir werden eine Form haben müssen, die von denjenigen, die aufgenommen werden wollen, ein klares Bekenntnis zu Christus fordert. Wir werden dieses Bekenntnis auch in einem gewissen Mass prüfen müssen, bevor wir sagen: "Du gehörst zur (sichtbaren lokalen Versammlung der) Kirche". Damit werden wir aber nie sagen können und müssen, dass derjenige tatsächlich mit Sicherheit zur unsichtbaren Kirche, dem Leib Christi, also den tatsächlich Geretteten gehört. Wir dürfen das aber aufgrund seines Bekenntnisses annehmen und ihn so behandeln, solange er nicht durch seinen Wandel ein gegenteiliges Zeugnis abgibt.

Die Praxis der Kirchenzucht wird hier eine schützende und korrektive Funktion haben.

Samstag, 19. Dezember 2009

Edelsteine

Die Anzahl der guten deutschen Bücher aus reformiertem Hintergrund steigt zwar in den letzten Jahren leicht an. Es gibt aber immer noch zu wenig davon. Vor allem sollte das Spektrum des Vorhandenen auf Bücher mit theologischen Themen stark erweitert werden.

Für den Liebhaber von guter Literatur, der auch einigermassen fleissig liest - und damit einen erhöhten Verbrauch aufweist - heisst es, geduldig sein. Die Einen vertreiben sich die Zeit mit Warten, Andere, die der englischen Sprache mächtig sind, bleiben in der Zwischenzeit noch bei (meinst amerikanischen) Originalen...

Für die Wartezeit derer, die mit Englisch eher Mühe haben, gibt es einige Edelsteine zu entdecken. Gratis! Das Meiste davon sind zwar eher kurze Texte, aber vieles davon hat auf einer A4-Seite soviel Gehalt wie das durchschnittliche ganze "How-to"-Buch im evangeliquallen Buchladen:

http://gospeltranslations.org


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Freitag, 18. Dezember 2009

Debatte zum Dienst der Frau in der Gemeinde XIII

Abschliessende Bemerkungen von Kurt Vetterli

Ich will in diesem abschliessenden Artikel jetzt nicht noch einmal auf die theologischen Argumente der Thematik eingehen, weil ich erstens denke, dass ich mehr oder weniger meinen Standpunkt zu den diskutierten Bibeltexten klargemacht habe, zweitens hast du eigentlich auch nicht mehr deine Aussagen zusammengefasst, sondern mehr versucht, etwas richtig zu stellen, bzw. einige persönliche Anmerkungen beigefügt. Darauf will ich hier noch antworten (es ist schade, dass du in dem veröffentlichten Statement auf Dinge eingehst, die ich dir neben der Debatte sagte, um sie eben nicht öffentlich zu machen - aber jetzt ist es draussen und ich will dir ein paar Sätze darauf antworten).

Wenn ich Aussagen von dir missverstanden habe und deine Argumente deshalb falsch repräsentiert habe, dann ist oder wäre es mein Fehler, weil ich nicht richtig zugehört hätte. Ich bin aber nach wie vor der Ansicht, dass deine Position daraus resultiert, dass Stellen wie 1Tim 2:12ff und Parallelen zugunsten der feministischen Auslegung uminterpretiert werden. (Feministisch nenne ich sie der Einfachheit halber. Man kommt auch nicht darum herum, anzuerkennen, dass es einen gewissen Zusammenhang gibt zwischen dem säkularen Feminismus und dem Aufkommen der veränderten Deutung der genannten Bibelstellen. Die historische Auslegung dieser Bibelabschnitte wurde erst zeitlich nach dem Aufkommen des säkularen Feminismus in Frage gestellt.)
Und sorry, wenn ich das so direkt und unverblümt wiederhole: Ich bin davon überzeugt, dass du einer falschen Lehre zum Thema 'Dienst der Frau in der Gemeinde' auf den Leim gegangen bist. Und dass du die Dinge jetzt ebenso falsch darstellst, wie es in den diversen Veröffentlichungen getan wird, deren Argumente ich bei dir lese.
Dass du aber eine liberale Einstellung zu Kirche und Homosexualität hättest oder befürworten würdest, habe ich nicht sagen wollen und ich befürchte das auch nicht. Ich wollte nur sagen, dass derselbe hermeneutische Ansatz, den du verwendest, aktuell gebaucht wird, um gelebte Homosexualtität bei Christen/geistlichen Mitarbeitern zu rechtfertigen. Das ist eine Tatsache, du musst nur einmal die entsprechenden Publikationen lesen...

Was mir wichtig ist: Wenn ich deine theologische Position kritisiere und dir direkt sage, was ich davon halte, bzw was ich von deinem hermeneutischen Ansatz denke, dann ist das kein Angriff auf deine Person, sondern es richtet sich gegen deine Ansichten. Diese halte ich tatsächlich für falsch. Ich glaube auch, anhand deiner Erklärungen zu den besagten Stellen erkannt zu haben, dass bei dir der Wunsch der Vater des Gedankens ist.
Du hast das auch richtig gesehen: Ich bin nicht mit der Bereitschaft, von dir zu lernen, in die Debatte eingestiegen. Ich sah es als eine Debatte und nicht als einen Dialog, wo ich mal schaue, ob wir uns finden können. Ich bin der Ansicht, dass alle diejenigen, die die historische Sicht in den letzten Jahrzehnten anzweifeln oder gar bekämpfen, nicht nur eine etwas andere Sicht der Dinge haben, sondern dass sie falsch lehren und dass diese Bewegung grossen Schaden in der Kirche angerichtet hat.

Was du am Ende schreibst, dass meine Argumente dich nicht überzeugen, ist zwar schade, aber ich habe eigentlich auch nicht damit gerechnet. Wenn du sagst, dass du etwas von mir gelernt hast, freut es mich sogar ein bisschen. Ich hoffe, du nimmst es mir nicht allzu übel, wenn ich dasselbe nicht auch sagen kann - dass ich von dir gelernt hätte. Wie du es richtig beurteilst, war das nicht meine Absicht; es wäre allenfalls eine unerwartete Wendung gewesen.

Ich habe dir (implizit - du hast es aber sicher bemerkt) unterstellt, dass du aus bestimmten Quellen gespeist bist. Ich gebe gern zu, dass das in meinem Fall zutrifft - auch wenn ich für die Debatte selbst keine Literatur konsultiert habe.
Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, eine Empfehlung abzugeben. Zwei Bücher sollte man sich unbedingt besorgen, wenn man sich genügend mit dem Thema 'Dienst der Frau in der Gemeinde' auseinandersetzen will:

Die Rolle von Mann und Frau in der Bibel
(22 Autoren) herausgegeben von John Piper und Wayne Grudem
3L-Verlag

Frauen in der Kirche
von Andreas J. Köstenberger, Thomas R. Schreiner, und H. S. Baldwin
Brunnen-Verlag
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Debatte zum Dienst der Frau in der Gemeinde XII

Abschluss-Statement von Christian Haslebacher


Du hast mich nach meinem letzten Statement gebeten, zu meinem Abschlussstatement zu kommen. Du wirfst mir in deiner Antwort #5 eine schräge Hermeneutik vor, die der Heiligen Schrift Gewalt antue und sie umbiege, um die Heilige Schrift für die eigenen Ideen nutzbar zu machen. Richtig an dieser Aussage ist, dass sich die sogenannte Frauenfrage auf dem Gebiet der Hermeneutik entscheidet. Der Umgang des Paulus mit der Heiligen Schrift ist dabei ein sehr entscheidender Punkt. Mein Fehler in meiner Antwort #5 war wahrscheinlich, dass ich nur auf Stellen hingewiesen habe, in denen Paulus meiner Ansicht nach relativ „frei“ umgeht mit dem Alten Testament. Das hat wahrscheinlich ein einseitiges Bild meines Verständnisses abgegeben. Ich habe in diesem Zusammenhang zweimal davon gesprochen, dass Paulus den Sinn des AT-Textes „verändert“ habe. Ich hätte wohl korrekter „ergänzt“ sagen sollen. Nichts desto trotz glaube ich aber, dass der Umgang des Paulus mit historischen Ereignissen im Alten Testament etwas komplexer ist, als dass er einfach immer den von Gott universell beabsichtigten Sinn darlegt. Dies zeigen auch die sogenannten Reflexionszitate aus dem Matthäusevangelium. Hier würde ich dir empfehlen, dich nochmals sachlich in diese Thematik Umgang mit dem AT im NT zu vertiefen.

Ich möchte klarstellen, dass ich in meinen Ausführungen keinerlei Aussagen zur Homosexualität gemacht habe und dass ich diese Thematik auch nicht so sehe, wie du dies vielleicht befürchtest. Ich bin der Überzeugung, dass man eine liberale Sicht in der Homosexualität nicht mit „meiner“ Hermeneutik rechtfertigen kann. Wenn du das glaubst, hast du „meine“ Hermeneutik nicht wirklich verstanden.

Kurz einige Bemerkungen zur sogenannten Metaebene: Ich habe dir in der Debatte nie vorgeworfen, du seist der Heiligen Schrift ungehorsam, du wolltest mit deiner Auslegung lediglich deine eigene Praxis rechtfertigen und würdest die Aussagen der Heiligen Schrift umbiegen, um sie für deine Überzeugungen nutzbar zu machen. Du dagegen hast mir diese Dinge wiederholt implizit und explizit vorgeworfen und mich schon vor der Debatte als evangelikalen Feministen betitelt, der die Bibel voreingenommen feministisch lese. Somit hast du mich von Anfang an in einer Schublade verstaut und wirst jetzt wahrscheinlich deine Erwartung (oder dein Vorurteil) bestätigt sehen und argumentieren, die Debatte habe ja bestätigt, dass ich in diese Schublade gehöre. Die Frage ist einfach, ob du unter diesen Voraussetzungen überhaupt die innere Bereitschaft gehabt hättest, etwas Substantielles zu lernen. Zu einer lernenden Haltung gehören ja bekanntlich Stille und zeitweise Unterordnung sowie die Frage: „Was spricht dafür, dass der Andere recht hat und ich falsch liege?“. Im Übrigen hätte ich dir die oben genannten Dinge auch vorwerfen können, was ich aber bewusst nicht wollte, weil ich sie erstens weder sachlich noch förderlich finde und zweitens von dir lernen wollte.

Falls es dich interessiert: Meine Frau ist keine Feministin, sie predigt nicht und sie ist nicht in der Gemeindeleitung. Churchill sagte einmal: „Some people change their principles to suit their party and some people change their party to suit their principles.“ In diesem Sinne ist mein arbeitgebender Gemeindeverband für mich in dieser Frage nicht entscheidend. Ich gehe davon aus, dass letzteres auch für dich gilt.

Auch wenn mich deine Argumentation in dieser Frage, die man ja schlussendlich nur mit ja oder nein beantworten kann, nicht umstimmen konnte, habe ich einiges von dir gelernt, wofür ich dir dankbar bin.

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Mittwoch, 16. Dezember 2009

Debatte zum Dienst der Frau in der Gemeinde XI

Antwort #5 von Kurt Vetterli

In deinem zweiten Abschnitt willst du daran festhalten, dass Adam, entgegen der Aussage von Paulus in 1Tim 2:14, beim Sündenfall doch verführt (andere Üs. 'betrogen') wurde. Du nimmst dann andere, allgemeine Aussagen über die Verführung zur Sünde und wendest diese auf Adam an (von dem Paulus sagt, dass er beim Sündenfall nicht betrogen wurde).
Du begründest diesen hermeneutischen Spagat mit der Behauptung, dass Paulus ja des Öfteren alttestamentliche Aussagen substantiell (!!) verändert, um einen Punkt zu machen. Ich bitte dich, Christian! Meinst du das ernst? Das ist kaum zu glauben! Wenn die AT-Stellen, die Paulus zitiert und auslegt, für uns bei ihm anders klingen als wir sie im AT verstehen, liegt das Problem beim Bibelleser, nicht beim Apostel, der unter Göttlicher Führung das AT auslegt!
Es ist gar nicht so schwierig, wie es vielleicht erst aussehen mag. Wenn Paulus sagt, dass Adam nicht betrogen wurde, sondern Eva, dann meint er ja nicht, dass Adam nicht sündigte, sondern dass die Sünde auf anderem Weg zu ihm kam, als durch den Betrug der Sünde, der direkt auf ihn zielte. Sondern der Satan verführte die Frau zur Sünde und Adam folgte ihr nach (ordnete sich ihr unter in diesem Punkt). Adam sündigte nicht, weil er (durch den Satan, die Sünde) reingelegt wurde, sondern er sündigte vielleicht mit einem willentlichen Entscheid, weil er sich zur Frau stellen wollte.

Wenn im Bericht über Mose und die Decke über seinem Gesicht im AT nichts darüber steht, warum Mose das tat und Paulus in seinem Brief an die Korinther den Grund nennt, ist das auch nicht so schwierig zu verstehen, dass er diese Information von Gott bekam. Er hat nicht den Sinn der ursprünglichen Aussage im AT verändert!

In 2.Kor 8 ordnet Paulus ganz einfach an, dass die Korinther den Ausgleich nach dem Vorbild Gottes im AT schaffen sollen. Der Apostel nennt oft Dinge aus dem AT, die dort als Vorbild, typologisch als Schatten, stehen und erklärt, warum Gott diese Dinge so genannt hat. Dies geschieht zum Beispiel so bei dem Beispiel des Ochsen, dem nicht das Maul verbunden werden solle.
Auch die Sache mit den Bergen in Gal 4 muss man typologisch verstehen.
Alle die Beispiele, die Du bringst, um Deine (äxgüsi, schräge) Hermeneutik zu rechtfertigen, haben nichts damit zu tun, dass Paulus uminterpretiert, sondern dass er den von Gott beabsichtigten Sinn darlegt. Das sollte eigentlich nicht so schwierig zu sehen sein. Es stimmt auf jeden Fall nicht, dass der Apostel seine Bibel anders deutet, als sie früher verstanden werden musste, nur um sie der aktuellen Kultur anzupassen. Sorry, aber wer so argumentiert, tut der Heiligen Schrift Gewalt an und biegt sie, um sie für die eigenen Ideen nutzbar zu machen. Das tust Du hier meiner Ansicht nach fleissig und unterstellst dem Apostel dasselbe.

Weiter: Ich bin mit dir einig, dass beide, Mann und Frau, Gottes Ebenbild sind. Auch dass die Frau nicht irgendwie minderwertig ist. Das sagt meines Wissens niemand, der Frauen nicht für geistliche Leitungsämter zulassen will. Das ist jeweils nur eine Unterstellung der Feministen (womit ich nicht gesagt habe, dass du mir das unterstellst).
Aber Gleichwertigkeit (die auch in der Schöpfung begründet ist) bedeutet nicht absolute Gleichheit oder hierarchische Gleichstellung! Sicher: Gen 2 zeigt nicht direkt eine hierarchische Ordnung. Aber darum muss man eben den Zusammenhang beachten! Nach dem Sündenfall werden die beiden, Mann und Frau - neben der Bekanntmachung der Folgen des Falls - wieder auf die ursprüngliche Ordnung verwiesen.
Die Folge der Sünde wird sein, dass die Frau die Führung über den Mann begehrt (das ist die Bedeutung von "nach dir wird ihr Verlangen sein" - vgl. dazu Gen 4:7, wo genau der gleiche Wortlaut gebraucht wird, diesmal für die Sünde, die nach Kain verlangt). Es soll aber umgekehrt sein, der Mann soll 'über die Frau herrschen. Natürlich ist nicht ein tyrannisches Herrschen, sondern eine liebevolle Führung gemeint.

Der Begriff "Hilfe" ist sicher auch nicht so gemeint, dass die Frau dadurch als minderwertig verstanden werden soll, oder dass die Hilfe eine Art Sklavendienst ist. Ganz klar, es geht um Ergänzung. Aber Ergänzung bringt als logische Folge eine Rollenverteilung mit sich. Die Frau tut Dinge besser als der Mann, oder sie kann Dinge, die der Mann nicht kann und umgekehrt. Jeder ist auf eine bestimmte Weise geschaffen. Das bestätigt eigentlich auch mehr die Rollenverteilung als gültig für alle Menschen zu allen Zeiten. Männer sollen geistliche Leitung(sverantwortung) innehaben, weil sie ihrer Geschöpflichkeit entspricht. Frauen sind nicht dafür geschaffen worden, sie sollen den Männern dabei helfen, diese Verantwortung gut wahrzunehmen.

Wenn du ins Neue Testament schaust, siehst du das überall bestätigt, wo über das Verhältnis der Ehepartner etwas steht. Epheser 5, Kolosser 3, 1.Petrus 3, usw...
Wenn du jedesmal diese Stellen als nur für den momentanen Kontext gültig hineinstellst, dann betreibst du eine so willkürliche Hermeneutik, mit der du die Schrift biegen und für die Rechtfertigung aller möglichen Absurditäten gebrauchen kannst. Zum Beispiel kannst du dann auch die Aussagen der Schrift zur Homosexualität ganz einfach so verstehen, dass sie nur die Homosexualität in Korinth und bei den Römern verurteilt, weil sie dort ein besonderes Problem war und nicht im Kontext der treuen Liebe der Partner gelebt wurde. Dies wird heute tatsächlich so gemacht in den Kirchen, die schon vor zehn Jahren oder früher das Pfarramt für Frauen mit der gleichen Hermeneutik rechtfertigten.

Ich möchte dich wirklich herausfordern, deine Hermeneutik noch einmal daraufhin zu prüfen, ob du dich nicht tatsächlich von dem Wunsch leiten lässt, die dir liebgewordene Idee von der Zulassung der Frauen für geistliche Leitungs-Ämter festhalten zu können. Ich sehe nicht, wie man auf die Auslegungen, wie du sie präsentiert hast, kommen kann, wenn man vom einfachen Sinn der Abschnitte ausgeht. Mir scheint, dass du die Stellen verfremdest, um das liberal-feministische Verständnis der pastoralen Anweisungen in 1.Tim und Tit zu stützen.

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Debatte zum Dienst der Frau in der Gemeinde X

Antwort #5 von Christian Haslebacher

Wenn du sagst, dass bei der Aussage „Mann einer Frau“ das Zahlwort „einer“ verbindlich sei, dann bedeutet das nicht nur, dass es nicht drei oder vier sein können, sondern eben auch, dass es nicht keine sein kann. Wenn du das „Mann“ als verbindlich nimmst, musst du auch das „einer Frau“ als verbindlich nehmen und „einer“ bedeutet dann eben „einer“ und nicht „einer oder keiner“. Ich würde mich an diesem Punkt über Konsequenz deinerseits freuen. Ebenso in der Frage der Kinderlosigkeit und des Gehorsams der Kinder. Wenn du in der Frage, ob ein Ältester ein Mann sein muss, konsequent sein willst, dann bitte auch in allen anderen Aspekten desselben Katalogs. Aber auch ich wiederhole mich hier.

Du schreibst: „Natürlich wurde Adam nicht verführt, wenn es Paulus so sagt.“ Ist das wirklich so? Gemäß Römer 5,12-14 und 1. Korinther 15,21-22 kamen Sünde und Tod durch Adam (und seine Übertretung) in die Welt. Die Aussage in 1. Timotheus 2,14, dass sich Eva verführen ließ und in Übertretung fiel, Adam aber nicht verführt wurde, ist demnach problematisch (vgl. Gen 3,11). Paulus macht deutlich, dass alle Gläubigen wie Eva in der Gefahr stehen, zur Sünde verführt (1Kor 11,3; 2Thess 2,3; Eph 5,6) zu werden, wie das auch Paulus selbst erlebt hatte (Röm 7,11; vgl. Hebr 3,13). Erklärt Paulus in Römer 5,14, Adam habe durch die Übertretung gesündigt und ist es gemäss Römer 7,11 die Sünde, die verführt, die Verführung der Sünde (Hebr 3,13), bedeutet das, dass Adam, wenn er in Übertretung fiel, ebenfalls verführt wurde, wenn auch nicht direkt durch die Schlange. Paulus rekurriert offenbar in selektiver Art auf Adam und Eva und greift inhaltlich nur die Aspekte auf, die für seine Argumentation entscheidend sind. Dies tut er auch sonst oft, was zuweilen so weit gehen kann, dass Paulus die Aussage des alttestamentlichen Textes substantiell verändert, um den Text auf seine Situation anwenden zu können.

In 1. Korinther 3,13 erklärt Paulus zum Beispiel, Moses habe sich eine Decke vor sein Gesicht gehängt, damit die Israeliten das Ende bzw. das Ziel der Herrlichkeit nicht sehen konnten. Damit verändert Paulus den Sinn des Textes in 2. Mose 34,29-35. Der Gedanke, Moses habe eine Decke vor sein Gesicht gehängt, damit die Israeliten das Ende der Herrlichkeit nicht sehen konnten, kommt im ursprünglichen Bericht nicht vor, weder in einem finalen Sinne, dass Moses sein Gesicht absichtlich verdeckte, um die verschwindende Herrlichkeit auf seinem Gesicht zu verdecken, noch in einem konsekutiven Sinne, dass Moses sein Gesicht verdeckte, ohne dass er selbst wahrnahm, dass die Herrlichkeit auf seinem Gesicht abklang. Auch von einer Abnahme des Glanzes ist überhaupt nicht die Rede.

In 2. Korinther 8 wirbt Paulus um eine Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem und verweist auf die in Exodus 16,18 geschilderte Erfahrung des Volkes Israel bei der Wüstenwanderung, dass keiner im Überfluss leben konnte und keiner Mangel leiden musste (2Kor 8,15). Die Analogie zwischen dem damals eingetretenen und dem jetzt angestrebten Zustand besteht sicherlich darin, dass Gott den Ausgleich will zwischen denen, die Überfluss haben und denen, die Mangel leiden. Paulus gebraucht 2. Mose 16,18, um das Prinzip des Ausgelichs zu bestätigen. Der logische Konflikt bei diesem Schriftverweis liegt jedoch darin, dass der Ausgleich in der Exodusgeschichte in keinster Weise durch menschliches Handeln vollzogen wurde, wie dies jetzt durch eine Kollekte geschehen soll, sondern alleine auf Gottes wunderbares Eingreifen zurückging. Man könnte die Exodusgeschichte sogar benutzen, um für die gegenteilige Position zu der von Paulus zu argumentieren, dass wir uns als Menschen nicht selbst um einen Ausgleich bemühen müssen, weil Gott diesen auf wundersame Weise selbst herführen wird, wie er dies in der Wüste getan hat.

In Galater 4 interpretiert Paulus entgegen jedes jüdische Selbstverständnis und entgegen den offenkundigen Sinn der historischen Ereignisse, auf die Paulus Bezug nimmt, Hagar als Stammmutter des jetzigen Jerusalems und des Judentums. Paulus trennt die Juden, die (mindestens zur großen Mehrheit) von Sarah abstammen, von Sarah und stellt sie auf die Seite Hagars und der Sklaverei (vgl. Joh 8,33!). Im Gegenzug nimmt er Sarah als Stammmutter der Gemeinde aus Juden und Heiden in Anspruch.

Dieser relativ „freie“ Umgang mit der Schrift findet sich auch anderswo bei Paulus. In 1. Korinther 14,21 zieht er zum Beispiel eine Analogie zwischen dem Volk Israel (Jes 28,11-12) und solchen Menschen, die die Glossolalie nicht verstehen. In 1. Timotheus 5,18 und 1. Korinther 9,9-10 zieht er eine Analogie zwischen Ochsen (Deut 25,4) und vollamtlichen Mitarbeitern der Gemeinde, wobei er vom Geringeren auf das Höhere schließt. In Römer 10,6-8 zitiert Paulus Deuteronomium 30,12-14, wo ursprünglich vom Gesetz die Rede ist, wobei Paulus diese Stelle auf Christus bezieht. Um dies tun zu können, muss Paulus jedoch ziemlich frei zitieren und auch einige Textteile weglassen (5Mo 30,12b.13b.14b). Einen ähnlich „freien“ Umgang mit der Schrift kann man auch bei Matthäus beobachten. Matthäus sieht nicht nur in eigentlichen prophetischen Aussagen des Alten Testamentes Vorausdarstellungen auf das Leben Jesu, sondern auch in Worten, die keine unmittelbare Beziehung und keinen vorhersagenden Charakter auf das endzeitliche Geschehen aufweisen. Wer hätte zum Beispiel ohne Kenntnis des Matthäusevangeliums angenommen, dass man daraus Aussagen von messianischer Bedeutung gewinnen könnte, dass Gott Israel aus Ägypten rief (Mt 2,15), dass Jeremia von Rahel schrieb, die über ihre toten Kinder weinte (Mt 2,17-18), dass Jesaja eine Aussage über Sebulon und Naftali machte (Mt 4,14-15) oder dass Zecharia dreißig Silberstücke erhielt und diese später einem Töpfer gab (Mt 27,9)? Noch weiter geht Matthäus, wenn er in 2,23 auf Grund eines Wortspiels mit dem Ortsnamen „Nazareth“ auf Jesaja 11,1 beziehungsweise Richter 13,5.7; 16,17 Bezug nimmt. Die Analogie besteht hier alleine in ähnlich klingenden Worten.

Dass Paulus die Schrift von der Gegenwart her versteht und dahingehend verändert, ist für ihn weder als Willkür noch als Uminterpretation zu verstehen, sondern als das, was Gott mit dieser Schriftstelle in der Gegenwart aussagen will. Dies einige hermeneutische Bemerkungen zum Umgang des Paulus mit dem AT.

Wenn Paulus also sagt, Adam sei nicht verführt worden, sondern Eva sei verführt worden und fiel in Übertretung, dann rekurriert er offenbar auch hier in selektiver Art auf Adam und Eva und greift inhaltlich nur die Aspekte auf, die für seine Argumentation entscheidend sind. Paulus präsentiert hier keine Exegese von Genesis 2-3! Er wendet Genesis 2-3 auf die damalige Situation an. Das ist ein Unterschied!

In Genesis 2 gibt es keinen Hinweis auf eine Hierarchie zwischen Mann und Frau:

- Mann und Frau werden in 1Mo 1,27-28 gleichwertig als Ebenbild Gottes bezeichnet (vgl. Gen 5,1; 9,6) und als Konkretisierung davon gemeinsam beauftragt, fruchtbar zu sein über die Schöpfung zu herrschen. Jede Minderbewertung der Frau ist daher zurückzuweisen.

- In Genesis 1,27 wird deutlich, dass Gott den Menschen (hebr. Adama') als Mann und Frau (wörtlich: männlich und weiblich) geschaffen hat. Mann und Frau sind beide Mensch, sie sind beide „Adam“. Gott gab beiden den Namen „Adam“ (1Mo 5,1-2). Dass das Wort für Mensch „Adam“ heisst, weist also nicht auf männliche Leiterschaft hin. Die Tatsache, dass Gott den Mann und die Frau beide „Adam“ nannte und beide beauftragte zu herrschen weisst viel mehr auf Gleichbewertung hin.

- Dass die Frau dem Mann als „Hilfe“ geschaffen wurde (1Mo 2,18), stellt sie nicht unter den Mann. Das Substantiv „Hilfe“ wird im Alten Testament überwiegend für Gott verwendet (Gott als Hilfe (13): 1Mo 49,25; 2Mo 18,4; 5Mo 33,7.26.29; 1Sam 7,12; Ps 33,20; 70,6; 115,9.10.11; 146,5; Hos 13,9. Gott als Spender der Hilfe (4): Ps 20,3; 89,20; 121,1-2; 124,8. Menschen als Hilfe (7): 1Mo 2,18.20; 1Kö 20,16; 2Kö 14,26; Hiob 29,12; Hes 12,14; Dan 11,34(?)) und bezeichnet weder Häuslichkeit noch Unterordnung, sondern eher Kompetenz und Kraft. In Genesis 49,25 wird die „Hilfe“ beispielsweise mit dem Segen des Allmächtigen parallel gesetzt und auch die anderen Bibelstellen, in denen von der Hilfe Gottes die Rede ist, bringen stets Gottes Macht und Hoheit zum Ausdruck (nicht seine temporäre Unterordnung unter den Menschen). Was Gott und die Frau als „Hilfe“ unterscheidet, ist, dass die Frau im Gegensatz zu Gott in ihrem Hilfesein ihren Existenzgrund hat. Mit anderen Worten: Die Frau wurde aus einem Mangel heraus geschaffen. Der Mann war jedoch von Anfang an als geschlechtliches Wesen auf die Frau angelegt, so dass dieser „Mangel“ vorhersehbar war, von Gott gewollt war und geradezu auftreten musste und in keinster Weise als „Unfall“ gewertet werden darf. Werner Neuer liefert als Vertreter der historischen Position selbst ein Argument gegen die Sichtweise, dass die Frau dem Mann als „Hilfe“ geschaffen wurde (1Mo 2,18), stelle sie unter den Mann: „Auch wenn es hier nicht ausdrücklich formuliert ist, so spricht unser Vers nicht nur von der Ergänzung des Mannes durch die Frau, sondern setzt indirekt voraus, dass auch die Frau durch den Mann Hilfe und Ergänzung erfährt. […] Beide Geschlechter sind ergänzungs- und hilfsbedürftig durch das jeweils andere.“ Der Mann ist also auch „Hilfe“ für die Frau. Die wesenhafte Verschiedenartigkeit von Mann und Frau dient dazu, den Mangel und die Hilfsbedürftigkeit des einen Geschlechts durch die Eigenschaften des anderen auszugleichen.

- Die Tatsache, dass Adam den Tieren ihre Namen gab und die Frau „Männin“ nannte (1Mo 2,23) bringt keine Oberherrschaft beziehungsweise Leiterschaft Adams über die Tiere und die Frau zum Ausdruck. Hagar nannte Gott in einer Gebetsanrede „El-Roï“ (Gott des Sehens; 1Mo 16,13), ohne dass sie auf Grund dieser Namensgebung über Gott stand. Jesus selbst nannte Gott „Vater“, stand aber nicht über ihm (Joh 5,18 vgl. 1Kor 11,3).

- Das Strafwort an die Frau in 1Mo 3,16 enthält zwei Aspekte. Der erste betrifft Schwangerschaft und Geburt, der zweite die Beziehung zum Mann. Beim ersten Aspekt sind Schwangerschaft und Geburt nicht die Strafe, sondern deren Begleitumstände: die mit Schwangerschaft und Geburt verbundenen Mühen. Beim zweiten Aspekt ist nicht das Verlangen nach dem Mann die Strafe, sondern der Begleitumstand des Beherrschtwerdens. Es ist gefährlich, aus diesem Strafen eine Ordnung, aus Negativitäten einen guten Willen Gottes zu machen. 1Mo 3,16b beschreibt also nicht den originalen Zustand und Willen Gottes, sondern den als Folge der Sünde modifizierten (ursprünglichen) Zustand in der gefallenen Schöpfung. In 1Kor 11,3 werden Mann und Frau sich gegenseitig zugeordnet in einem Verhältnis, das dem Verhältnis von Gott Vater zu Christus gleicht. Diese Zuordnung kann Paulus folgend also nicht als Folge des Sündenfalls angesehen werden, sie ist aber auch nicht mit dem gleichzusetzen, was 1Mo 3,16b zum Ausdruck bringt. Man kann zwar 1Kor 11,3 folgend sagen, Gott Vater sei das Haupt Christi, wie der Mann das Haupt der Frau, man kann jedoch nicht sagen, Gott Vater herrsche über Christus, wie der Mann gemäss 1Mo 3,16b über die Frau herrscht. 1Mo 3,16b geht also über die Zuordnung von Mann und Frau hinaus, wie sie u.a. in 1Kor 11,2-16 zum Ausdruck kommt. Die Nuancen sind hier entscheidend und der Grat zwischen dem offenbar negativ verstandenen Herrschen in 1Mo 3,16b (man beachte den Kontext, siehe oben) und dem Hauptsein in 1Kor 11,3 schmal.

- Du erklärst, beim Sündenfall sei die hierarchische Ordnung der Geschlechter durcheinander und deshalb sei die Sünde in die Welt gekommen. Die Sünde der Frau hat demnach darin bestand, dass sie die Leiterschaft an sich riss. Die Sünde des Mannes hat darin bestanden, dass er seine geistliche Führungsaufgabe verleugnet und auf seine Frau gehörte hat (1Mo 3,17). Die Sündenfallgeschichte sei demnach eine Warnung vor den Gefahren, wenn Frauen religiöse Führung an sich rissen, die Gott den Männern aufgetragen habe. Dieser Argumentationsweise gilt es entgegen zu halten, dass beim Sündenfall die Versuchung der Frau nicht darin bestand, dass die Frau sein wollte wie der Mann und daher die Leiterschaft an sich riss. Die Versuchung lautete nicht: „Du wirst sein wie dein Mann“, sondern: „Ihr (!) werdet sein wie Gott.“ (1Mo 3,5) Der Punkt bei der Sünde des Mannes ist nicht der, dass er auf die Frau hörte, sondern dass er nicht auf Gott hörte (1Mo 3,17). Die Sünde Adams wäre nicht weniger schlimm gewesen, wenn Eva ebenfalls ein Mann gewesen wäre.

Hermeneutisch gesehen ist es hier wichtig, die Schöpfungs- und Sündenfallberichte zunächst für sich selbst sprechen zu lassen, ohne dass sie Dinge aussagen müssen, auf die der Ausleger ohne Kenntnis der Anweisungen Paulus‘ (1Kor 11,3-16; 1Tim 2,13) nie gekommen wäre. Aufgrund der Schöpfungsordnung gemäss 1Mo 1-3 lässt sich die historische Position, 1Tim 2,12 sei heute noch allgemein verbindlich und Frauen sollen nicht als Pastoren oder Gemeindeleiter dienen, also nicht begründen.

Fazit:

Wenn Paulus also sagt, Adam sei nicht verführt worden, sondern Eva sei verführt worden und fiel in Übertretung, dann rekurriert er offenbar auch hier in selektiver Art auf Adam und Eva und greift inhaltlich nur die Aspekte auf, die für seine Argumentation entscheidend sind. Paulus präsentiert hier keine Exegese von Genesis 2-3! Er wendet Genesis 2-3 auf die damalige Situation an. Das ist ein Unterschied! Aus diesem Grund kann man nicht sagen, 1Tim 2,12 sei allgemeingültig, weil Paulus diese Aussage mit Gen 2-3 begründet.