Mittwoch, 16. Dezember 2009

Debatte zum Dienst der Frau in der Gemeinde X

Antwort #5 von Christian Haslebacher

Wenn du sagst, dass bei der Aussage „Mann einer Frau“ das Zahlwort „einer“ verbindlich sei, dann bedeutet das nicht nur, dass es nicht drei oder vier sein können, sondern eben auch, dass es nicht keine sein kann. Wenn du das „Mann“ als verbindlich nimmst, musst du auch das „einer Frau“ als verbindlich nehmen und „einer“ bedeutet dann eben „einer“ und nicht „einer oder keiner“. Ich würde mich an diesem Punkt über Konsequenz deinerseits freuen. Ebenso in der Frage der Kinderlosigkeit und des Gehorsams der Kinder. Wenn du in der Frage, ob ein Ältester ein Mann sein muss, konsequent sein willst, dann bitte auch in allen anderen Aspekten desselben Katalogs. Aber auch ich wiederhole mich hier.

Du schreibst: „Natürlich wurde Adam nicht verführt, wenn es Paulus so sagt.“ Ist das wirklich so? Gemäß Römer 5,12-14 und 1. Korinther 15,21-22 kamen Sünde und Tod durch Adam (und seine Übertretung) in die Welt. Die Aussage in 1. Timotheus 2,14, dass sich Eva verführen ließ und in Übertretung fiel, Adam aber nicht verführt wurde, ist demnach problematisch (vgl. Gen 3,11). Paulus macht deutlich, dass alle Gläubigen wie Eva in der Gefahr stehen, zur Sünde verführt (1Kor 11,3; 2Thess 2,3; Eph 5,6) zu werden, wie das auch Paulus selbst erlebt hatte (Röm 7,11; vgl. Hebr 3,13). Erklärt Paulus in Römer 5,14, Adam habe durch die Übertretung gesündigt und ist es gemäss Römer 7,11 die Sünde, die verführt, die Verführung der Sünde (Hebr 3,13), bedeutet das, dass Adam, wenn er in Übertretung fiel, ebenfalls verführt wurde, wenn auch nicht direkt durch die Schlange. Paulus rekurriert offenbar in selektiver Art auf Adam und Eva und greift inhaltlich nur die Aspekte auf, die für seine Argumentation entscheidend sind. Dies tut er auch sonst oft, was zuweilen so weit gehen kann, dass Paulus die Aussage des alttestamentlichen Textes substantiell verändert, um den Text auf seine Situation anwenden zu können.

In 1. Korinther 3,13 erklärt Paulus zum Beispiel, Moses habe sich eine Decke vor sein Gesicht gehängt, damit die Israeliten das Ende bzw. das Ziel der Herrlichkeit nicht sehen konnten. Damit verändert Paulus den Sinn des Textes in 2. Mose 34,29-35. Der Gedanke, Moses habe eine Decke vor sein Gesicht gehängt, damit die Israeliten das Ende der Herrlichkeit nicht sehen konnten, kommt im ursprünglichen Bericht nicht vor, weder in einem finalen Sinne, dass Moses sein Gesicht absichtlich verdeckte, um die verschwindende Herrlichkeit auf seinem Gesicht zu verdecken, noch in einem konsekutiven Sinne, dass Moses sein Gesicht verdeckte, ohne dass er selbst wahrnahm, dass die Herrlichkeit auf seinem Gesicht abklang. Auch von einer Abnahme des Glanzes ist überhaupt nicht die Rede.

In 2. Korinther 8 wirbt Paulus um eine Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem und verweist auf die in Exodus 16,18 geschilderte Erfahrung des Volkes Israel bei der Wüstenwanderung, dass keiner im Überfluss leben konnte und keiner Mangel leiden musste (2Kor 8,15). Die Analogie zwischen dem damals eingetretenen und dem jetzt angestrebten Zustand besteht sicherlich darin, dass Gott den Ausgleich will zwischen denen, die Überfluss haben und denen, die Mangel leiden. Paulus gebraucht 2. Mose 16,18, um das Prinzip des Ausgelichs zu bestätigen. Der logische Konflikt bei diesem Schriftverweis liegt jedoch darin, dass der Ausgleich in der Exodusgeschichte in keinster Weise durch menschliches Handeln vollzogen wurde, wie dies jetzt durch eine Kollekte geschehen soll, sondern alleine auf Gottes wunderbares Eingreifen zurückging. Man könnte die Exodusgeschichte sogar benutzen, um für die gegenteilige Position zu der von Paulus zu argumentieren, dass wir uns als Menschen nicht selbst um einen Ausgleich bemühen müssen, weil Gott diesen auf wundersame Weise selbst herführen wird, wie er dies in der Wüste getan hat.

In Galater 4 interpretiert Paulus entgegen jedes jüdische Selbstverständnis und entgegen den offenkundigen Sinn der historischen Ereignisse, auf die Paulus Bezug nimmt, Hagar als Stammmutter des jetzigen Jerusalems und des Judentums. Paulus trennt die Juden, die (mindestens zur großen Mehrheit) von Sarah abstammen, von Sarah und stellt sie auf die Seite Hagars und der Sklaverei (vgl. Joh 8,33!). Im Gegenzug nimmt er Sarah als Stammmutter der Gemeinde aus Juden und Heiden in Anspruch.

Dieser relativ „freie“ Umgang mit der Schrift findet sich auch anderswo bei Paulus. In 1. Korinther 14,21 zieht er zum Beispiel eine Analogie zwischen dem Volk Israel (Jes 28,11-12) und solchen Menschen, die die Glossolalie nicht verstehen. In 1. Timotheus 5,18 und 1. Korinther 9,9-10 zieht er eine Analogie zwischen Ochsen (Deut 25,4) und vollamtlichen Mitarbeitern der Gemeinde, wobei er vom Geringeren auf das Höhere schließt. In Römer 10,6-8 zitiert Paulus Deuteronomium 30,12-14, wo ursprünglich vom Gesetz die Rede ist, wobei Paulus diese Stelle auf Christus bezieht. Um dies tun zu können, muss Paulus jedoch ziemlich frei zitieren und auch einige Textteile weglassen (5Mo 30,12b.13b.14b). Einen ähnlich „freien“ Umgang mit der Schrift kann man auch bei Matthäus beobachten. Matthäus sieht nicht nur in eigentlichen prophetischen Aussagen des Alten Testamentes Vorausdarstellungen auf das Leben Jesu, sondern auch in Worten, die keine unmittelbare Beziehung und keinen vorhersagenden Charakter auf das endzeitliche Geschehen aufweisen. Wer hätte zum Beispiel ohne Kenntnis des Matthäusevangeliums angenommen, dass man daraus Aussagen von messianischer Bedeutung gewinnen könnte, dass Gott Israel aus Ägypten rief (Mt 2,15), dass Jeremia von Rahel schrieb, die über ihre toten Kinder weinte (Mt 2,17-18), dass Jesaja eine Aussage über Sebulon und Naftali machte (Mt 4,14-15) oder dass Zecharia dreißig Silberstücke erhielt und diese später einem Töpfer gab (Mt 27,9)? Noch weiter geht Matthäus, wenn er in 2,23 auf Grund eines Wortspiels mit dem Ortsnamen „Nazareth“ auf Jesaja 11,1 beziehungsweise Richter 13,5.7; 16,17 Bezug nimmt. Die Analogie besteht hier alleine in ähnlich klingenden Worten.

Dass Paulus die Schrift von der Gegenwart her versteht und dahingehend verändert, ist für ihn weder als Willkür noch als Uminterpretation zu verstehen, sondern als das, was Gott mit dieser Schriftstelle in der Gegenwart aussagen will. Dies einige hermeneutische Bemerkungen zum Umgang des Paulus mit dem AT.

Wenn Paulus also sagt, Adam sei nicht verführt worden, sondern Eva sei verführt worden und fiel in Übertretung, dann rekurriert er offenbar auch hier in selektiver Art auf Adam und Eva und greift inhaltlich nur die Aspekte auf, die für seine Argumentation entscheidend sind. Paulus präsentiert hier keine Exegese von Genesis 2-3! Er wendet Genesis 2-3 auf die damalige Situation an. Das ist ein Unterschied!

In Genesis 2 gibt es keinen Hinweis auf eine Hierarchie zwischen Mann und Frau:

- Mann und Frau werden in 1Mo 1,27-28 gleichwertig als Ebenbild Gottes bezeichnet (vgl. Gen 5,1; 9,6) und als Konkretisierung davon gemeinsam beauftragt, fruchtbar zu sein über die Schöpfung zu herrschen. Jede Minderbewertung der Frau ist daher zurückzuweisen.

- In Genesis 1,27 wird deutlich, dass Gott den Menschen (hebr. Adama') als Mann und Frau (wörtlich: männlich und weiblich) geschaffen hat. Mann und Frau sind beide Mensch, sie sind beide „Adam“. Gott gab beiden den Namen „Adam“ (1Mo 5,1-2). Dass das Wort für Mensch „Adam“ heisst, weist also nicht auf männliche Leiterschaft hin. Die Tatsache, dass Gott den Mann und die Frau beide „Adam“ nannte und beide beauftragte zu herrschen weisst viel mehr auf Gleichbewertung hin.

- Dass die Frau dem Mann als „Hilfe“ geschaffen wurde (1Mo 2,18), stellt sie nicht unter den Mann. Das Substantiv „Hilfe“ wird im Alten Testament überwiegend für Gott verwendet (Gott als Hilfe (13): 1Mo 49,25; 2Mo 18,4; 5Mo 33,7.26.29; 1Sam 7,12; Ps 33,20; 70,6; 115,9.10.11; 146,5; Hos 13,9. Gott als Spender der Hilfe (4): Ps 20,3; 89,20; 121,1-2; 124,8. Menschen als Hilfe (7): 1Mo 2,18.20; 1Kö 20,16; 2Kö 14,26; Hiob 29,12; Hes 12,14; Dan 11,34(?)) und bezeichnet weder Häuslichkeit noch Unterordnung, sondern eher Kompetenz und Kraft. In Genesis 49,25 wird die „Hilfe“ beispielsweise mit dem Segen des Allmächtigen parallel gesetzt und auch die anderen Bibelstellen, in denen von der Hilfe Gottes die Rede ist, bringen stets Gottes Macht und Hoheit zum Ausdruck (nicht seine temporäre Unterordnung unter den Menschen). Was Gott und die Frau als „Hilfe“ unterscheidet, ist, dass die Frau im Gegensatz zu Gott in ihrem Hilfesein ihren Existenzgrund hat. Mit anderen Worten: Die Frau wurde aus einem Mangel heraus geschaffen. Der Mann war jedoch von Anfang an als geschlechtliches Wesen auf die Frau angelegt, so dass dieser „Mangel“ vorhersehbar war, von Gott gewollt war und geradezu auftreten musste und in keinster Weise als „Unfall“ gewertet werden darf. Werner Neuer liefert als Vertreter der historischen Position selbst ein Argument gegen die Sichtweise, dass die Frau dem Mann als „Hilfe“ geschaffen wurde (1Mo 2,18), stelle sie unter den Mann: „Auch wenn es hier nicht ausdrücklich formuliert ist, so spricht unser Vers nicht nur von der Ergänzung des Mannes durch die Frau, sondern setzt indirekt voraus, dass auch die Frau durch den Mann Hilfe und Ergänzung erfährt. […] Beide Geschlechter sind ergänzungs- und hilfsbedürftig durch das jeweils andere.“ Der Mann ist also auch „Hilfe“ für die Frau. Die wesenhafte Verschiedenartigkeit von Mann und Frau dient dazu, den Mangel und die Hilfsbedürftigkeit des einen Geschlechts durch die Eigenschaften des anderen auszugleichen.

- Die Tatsache, dass Adam den Tieren ihre Namen gab und die Frau „Männin“ nannte (1Mo 2,23) bringt keine Oberherrschaft beziehungsweise Leiterschaft Adams über die Tiere und die Frau zum Ausdruck. Hagar nannte Gott in einer Gebetsanrede „El-Roï“ (Gott des Sehens; 1Mo 16,13), ohne dass sie auf Grund dieser Namensgebung über Gott stand. Jesus selbst nannte Gott „Vater“, stand aber nicht über ihm (Joh 5,18 vgl. 1Kor 11,3).

- Das Strafwort an die Frau in 1Mo 3,16 enthält zwei Aspekte. Der erste betrifft Schwangerschaft und Geburt, der zweite die Beziehung zum Mann. Beim ersten Aspekt sind Schwangerschaft und Geburt nicht die Strafe, sondern deren Begleitumstände: die mit Schwangerschaft und Geburt verbundenen Mühen. Beim zweiten Aspekt ist nicht das Verlangen nach dem Mann die Strafe, sondern der Begleitumstand des Beherrschtwerdens. Es ist gefährlich, aus diesem Strafen eine Ordnung, aus Negativitäten einen guten Willen Gottes zu machen. 1Mo 3,16b beschreibt also nicht den originalen Zustand und Willen Gottes, sondern den als Folge der Sünde modifizierten (ursprünglichen) Zustand in der gefallenen Schöpfung. In 1Kor 11,3 werden Mann und Frau sich gegenseitig zugeordnet in einem Verhältnis, das dem Verhältnis von Gott Vater zu Christus gleicht. Diese Zuordnung kann Paulus folgend also nicht als Folge des Sündenfalls angesehen werden, sie ist aber auch nicht mit dem gleichzusetzen, was 1Mo 3,16b zum Ausdruck bringt. Man kann zwar 1Kor 11,3 folgend sagen, Gott Vater sei das Haupt Christi, wie der Mann das Haupt der Frau, man kann jedoch nicht sagen, Gott Vater herrsche über Christus, wie der Mann gemäss 1Mo 3,16b über die Frau herrscht. 1Mo 3,16b geht also über die Zuordnung von Mann und Frau hinaus, wie sie u.a. in 1Kor 11,2-16 zum Ausdruck kommt. Die Nuancen sind hier entscheidend und der Grat zwischen dem offenbar negativ verstandenen Herrschen in 1Mo 3,16b (man beachte den Kontext, siehe oben) und dem Hauptsein in 1Kor 11,3 schmal.

- Du erklärst, beim Sündenfall sei die hierarchische Ordnung der Geschlechter durcheinander und deshalb sei die Sünde in die Welt gekommen. Die Sünde der Frau hat demnach darin bestand, dass sie die Leiterschaft an sich riss. Die Sünde des Mannes hat darin bestanden, dass er seine geistliche Führungsaufgabe verleugnet und auf seine Frau gehörte hat (1Mo 3,17). Die Sündenfallgeschichte sei demnach eine Warnung vor den Gefahren, wenn Frauen religiöse Führung an sich rissen, die Gott den Männern aufgetragen habe. Dieser Argumentationsweise gilt es entgegen zu halten, dass beim Sündenfall die Versuchung der Frau nicht darin bestand, dass die Frau sein wollte wie der Mann und daher die Leiterschaft an sich riss. Die Versuchung lautete nicht: „Du wirst sein wie dein Mann“, sondern: „Ihr (!) werdet sein wie Gott.“ (1Mo 3,5) Der Punkt bei der Sünde des Mannes ist nicht der, dass er auf die Frau hörte, sondern dass er nicht auf Gott hörte (1Mo 3,17). Die Sünde Adams wäre nicht weniger schlimm gewesen, wenn Eva ebenfalls ein Mann gewesen wäre.

Hermeneutisch gesehen ist es hier wichtig, die Schöpfungs- und Sündenfallberichte zunächst für sich selbst sprechen zu lassen, ohne dass sie Dinge aussagen müssen, auf die der Ausleger ohne Kenntnis der Anweisungen Paulus‘ (1Kor 11,3-16; 1Tim 2,13) nie gekommen wäre. Aufgrund der Schöpfungsordnung gemäss 1Mo 1-3 lässt sich die historische Position, 1Tim 2,12 sei heute noch allgemein verbindlich und Frauen sollen nicht als Pastoren oder Gemeindeleiter dienen, also nicht begründen.

Fazit:

Wenn Paulus also sagt, Adam sei nicht verführt worden, sondern Eva sei verführt worden und fiel in Übertretung, dann rekurriert er offenbar auch hier in selektiver Art auf Adam und Eva und greift inhaltlich nur die Aspekte auf, die für seine Argumentation entscheidend sind. Paulus präsentiert hier keine Exegese von Genesis 2-3! Er wendet Genesis 2-3 auf die damalige Situation an. Das ist ein Unterschied! Aus diesem Grund kann man nicht sagen, 1Tim 2,12 sei allgemeingültig, weil Paulus diese Aussage mit Gen 2-3 begründet.

1 Kommentar:

wow gold hat gesagt…

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