Antwort #2 von Christian Haslebacher
Die Wiedergabe der Meinung des Gesprächspartners und Rückfragen können helfen sicherzustellen, dass man den Gesprächspartner richtig verstanden hat, das gilt auch für Debatten. Wenn ich deine Antwort lese, bin ich froh, dass ich meine Rückfrage gestellt habe.
Du argumentierst, man müsse zwischen innerer und äusserer Haltung unterscheiden. Ich stimme dir im Grundsatz zu, würde jedoch nicht von innerer und äusserer Haltung sprechen (das greift mir zu kurz), sondern von allgemeingültigem, geistlichem Prinzip und dessen situations- und kulturbezogenen Anwendung. So wird zum Beispiel der Befehl des Paulus, dass Christen sich gegenseitig mit einem Kuss grüssen sollen (Röm 16,16; 1Kor 16,20; 2Kor 13,12; 1Thes 5,26), im Allgemeinen als kulturbezogene Anwendung des geistlichen Prinzips der Bruderliebe verstanden. Der Befehl Jesu an seine Jünger, sich untereinander die Füsse zu waschen (Joh 13,14), wird in der Regel als kulturbezogene Anwendung des geistlichen Prinzips verstanden, sich gegenseitig demütig zu dienen und einander im geistlichen Sinne rein zu halten (zurechthelfen, Gal 6,1-2). Man könnte viele weitere Beispiele aufzählen, bei denen man zwischen allgemeingültigem, geistlichem Prinzip und dessen situations- und kulturbezogener Anwendung unterscheiden muss. Ich nenne noch eines aus dem Gebiet der Frauenfrage: In der Regel wird die Forderung, dass eine Frau beim (öffentlichen) Beten und prophetischen Reden eine Kopfbedeckung tragen müsse (1Kor 11,5-6), als kulturbedingte Aufforderung verstanden. Das allgemeingültige Prinzip dahinter ist wohl, dass die Frau sich in einer Art und Weise verhalten soll, die ihrem Mann, Christus und ihr selbst keine Schande bringt, sondern Ehre.
Der Punkt ist nun der: Haben bestimmte biblischen Aussagen tatsächlich keinen überzeitlichen Charakter, sondern einen kultur- und situationsbezogenen, dann betreibt derjenige (bewusst oder unbewusst) Kritik an der Bibel, der das nicht wahrhaben will. (Das Umgekehrte gilt natürlich auch.) – Soweit einige grundsätzliche hermeneutische Gedanken. Kommen wir zurück zu deinem ersten Argument, dem direkten Zusammenhang des Abschnittes in 1Tim 2,8-11:
In 1Tim 2,8 bekundet Paulus einige wenige Sätze vor der umstrittenen Aussage in 1Tim 2,12, er wolle, dass die Männer an allen Orten beten und dabei die Hände aufheben. Kaum ein Ausleger, der Paulus' Aufforderung „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre“ allgemeingültig versteht, vertritt auch diese Aufforderung mit derselben Dringlichkeit. Mit gutem Grund: Erstens wird das Aufheben der Hände in der Bibel lediglich als eine von verschiedenen Gebetshaltungen erwähnt. Zweitens geht es Paulus hier sicher weniger um die Form des Gebetes als um das Gebet selbst. Das allgemeingültige Prinzip hinter dieser Aussage dürfte in der richtigen Haltung des Betenden liegen, der sich zu Gott hin ausstreckt, alles von ihm erwartet und mit einem reinen Gewissen vor Gott tritt (Jes 1,15-16). Trotzdem bleibt klar, dass Paulus mit seinem „Ich will“ vier Verse vor seinem „Ich gestatte nicht“ (1Tim 2,12) keine allgemeingültige Aussage gemacht hat. Was die Aussagen zur Kleidung, Haarstiel und Schmuck betrifft, erklärst du in deiner Antwort #1 ebenfalls selber, dass es sich um kulturbezogene Aussagen handelt. Paulus macht also in 1Tim 2,8-10 mit seinen Aussagen zum Händehochhalten, der Kleidung, dem Haarstiel und dem Schmuck lauter kultur- und situationsbezogene Anwendungen von geistlichen Prinzipien. Der gesamte direkte Kontext von 1Tim 2,12 schreit uns also entgegen: kultur- und situationsbezogene Anwendungen von geistlichen Prinzipien.
Die Frage ist nun, ob man nicht auch in 1Tim 2,11-12 zwischen allgemeingültigem, geistlichem Prinzip und situations- und kulturbezogener Anwendung unterscheiden sollte. Könnte die Unterordnung der (Ehe-)Frauen gegenüber den (Ehe-)Männern (vgl. 1Kor 14,35 „ihre Männer“) in der heutigen Zeit nicht auch auf andere Weise als dem Schweigen zum Ausdruck gebracht werden?
(Entschuldige bitte, dass ich wieder mit einer Frage schliesse. Dass ich diese Frage mit „vermutlich ja“ beantworten würde, liegt nahe. Falls du die Frage anders beantwortest, würde mich interessieren, weshalb.)
1 Kommentar:
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